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Artefakt

Artefakt

Titel: Artefakt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Brandhorst
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verpflichtet, wie Sie.« Die quietschende Stimme der Kzosek war leise und schwach. »Aber leider … müssen Sie jetzt … ohne mich zurechtkommen.«
    Rahil konnte sie nicht mehr halten – Thresa sank zu Boden. Blut rann aus ihren Mundwinkeln und strömte, dunkel und in der Kälte dampfend, aus einer Wunde am Halsansatz. Die Kugel aus Elishas Projektilwaffe hatte ihr dort eine lebenswichtige Ader zerfetzt. Die langen, wie Zweige aussehenden Finger krümmten sich und scharrten durch schwarzen Staub, der einmal Felsgestein gewesen war. Ein gurgelndes Geräusch kam aus dem so menschlich wirkenden Mund, und dann rührte sich die Kzosek nicht mehr.
    Rahil starrte einige Sekunden lang benommen auf sie hinab, drehte sich dann halb um und sah in die Richtung zurück, aus der sie gekommen waren. Die Tochter der Ersten Mutter stand dort, in der einen Hand die Projektilwaffe, die Thresa getötet hatte, in der anderen ein kleines Gerät, in das sie sprach, vermutlich ein primärer Kommunikator. Rahil erinnerte sich an das zwei Mikrosekunden lange Signal, von dem die Kzosek berichtet hatte.
    Er blickte zum Artefakt, dessen Türme dunkel, kalt und ohne eine Öffnung vor ihm aufragten. Wie sollte er ins Innere gelangen, ohne die Stimme eines Schmieds? Er wankte dem ersten Turm entgegen, umgeben vom Brummen der Absorption, und wusste, dass ihn nur noch wenige Momente vom Tod trennten. Er dachte an das Image, das er von sich angefertigt hatte, und wünschte dem nächsten Rahil, der damit in einem Uterus heranwachsen würde, mehr Glück.
    Der Neutralisator gab ein letztes warnendes Piepen von sich, die Femtomaschinen stellten ihren Dienst ein, und die Rüstung löste sich von seinem Körper, fiel welk und tot von ihm ab. Rahils Beine knickten ein, und er kippte nach vorn. Aber er stürzte nicht in den Staub, sondern in schwarzes Nichts.
    Endlich kommst du zu mir.
    50
    Seit vielen Tagen – oder waren es nur Stunden? – wanderte Rahil durch die Flure und Korridore, vorbei an steinernen Wänden, die glatt wirkten und sich doch rau anfühlten, wenn er sie berührte. Manchmal begleitete ihn die kahlköpfige Frau mit den Narben, und wenn sie an seiner Seite schritt, erzählte sie von den Zimmern, die sie in all den Jahren besucht hatte. Oft war ihre Stimme ruhig, aber gelegentlich erklangen schrille Untertöne darin, Vorboten des Wahnsinns, und nach den ersten Konfrontationen – die schlecht verheilten Kratzspuren in seinem Gesicht erinnerten daran – hatte er gelernt, in einem der Zimmer Zuflucht zu suchen. Wenn er sich auf die Türen konzentrierte, wenn er alles andere beiseiteschob und auch die inneren Augen öffnete, erkannte er die Markierungen an ihnen, die ihm sonst verborgen blieben, und dann wusste er, welcher Raum ihm Sicherheit vor dem Zorn der Frau bot. Sie war viel länger hier als er – sie war hier gewachsen, gereift und verrückt geworden –, konnte aber nicht alle Zimmer betreten, vor allem nicht das letzte am Ende des größten Flurs mit den leeren Bildern, den Raum hinter dem Portal aus dunklem Holz, so alt, dass es versteinert war. Bei ihrer zweiten Begegnung hatte sie ihn aufgefordert, jene Tür für ihn zu öffnen, und als ihm dies nicht gelungen war, hatte sie zu kreischen begonnen. Manchmal griff sie ihn an, ohne einen Ton von sich zu geben, und das waren die schlimmsten Momente, denn dann verwandelten sich Zorn und Wahnsinn in kalte Entschlossenheit. Rahil wehrte sich nicht und floh nur, denn er kannte die Frau und wollte sie nicht verletzen.
    Einmal führte ihn die Flucht in ein Zimmer, das über eine der wenigen nach draußen führenden Treppen verfügte. Rahil eilte die schmalen Stufen hinunter, die aus dem gleichen rauen, glatten Stein bestanden wie die Wände der Flure, und draußen erwartete ihn ein Friedhof mit Grabsteinen, die weiß wie Schnee aus dem dunklen Boden ragten. Weiter hinten erhoben sich Mauern, viel zu hoch, als dass er sie hätte erklettern können. Um der verrückten Frau zu entkommen, ging Rahil an den Gräbern entlang, und es wunderte ihn nicht, dass einige der Grab steine ihm vertraute Namen aufwiesen. Aites, Crotwell und Durrwachter ruhten hier, direkt hinter dem Grab von Lucrezia. Andere Kuratoren und Missionare, die er gekannt hatte, lagen in der Nähe begraben, und hinter ihnen befanden sich die letzten Ruhestätten von nahen und fernen Verwandten: sein Vater Coltan, seine Mutter Vivienne Guandique Belidor, Coltans Ururgroßvater Jere Laureno Tennerit, und selbst Juranjo Rett

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