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Artefakt

Artefakt

Titel: Artefakt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Brandhorst
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den rauen Stein unter seinen Händen wanderten.
    »Ich war klein, als ich hierherkam. Jemand brachte mich hierher.«
    »Unser Vater? Erinnerst du dich an ihn?«
    Die Frau beugte sich vor, und ein seltsamer Glanz erschien in ihren Augen. »Ich weiß, dass du mich getötet hast. Er hat es mir gesagt.«
    Etwas stach in Rahil, wie ein Messer, das ihm jemand ins Herz stieß. Der Psychomechaniker Ayyad hatte ihm das Gefühl erklärt. Sein Unterbewusstsein schuf diesen Schmerz, weil es sich ein Messer wünschte, das sich ihm ins Herz bohrte. Es sei der Wunsch nach verdienter Strafe, hatte Ayyad erläutert.
    »Eine Kzosek hat dich erschossen«, erwiderte Rahil und sprach noch immer sehr sanft. Thresa fiel ihm ein, und er dachte: Du hattest recht, Thresa. Nicht alle Kzosek sind wie Magda und Magdalena. »An Bord der Rosenduft . Erinnerst du dich an Duartes?«
    »Du willst mich verwirren«, sagte Jazmine scharf. »Du willst von deiner Schuld ablenken. Ich habe es dir zu verdanken, dass ich immer allein gewesen bin, dass ich niemanden habe und nicht ganz bin. Mir fehlt etwas, die Stimmen haben es mir gesagt, und es ist deine Schul d !«
    Das Feuer in Jazmine brannte größer und heißer, und ein Gegenstand erschien in ihrer rechten Hand, wie ein Dolch aus Glas. Rahil sprang auf und floh aus dem Zimmer mit den vielen Linien, die vielleicht Adern waren.
    Oft durchstreifte er das Artefakt allein, mit Gedanken wie Würmer in seinem Kopf und auf der Suche nach etwas, das er nicht ganz verstand. Er versuchte, das Chaos hinter seiner Stirn zu ordnen, seinen Überlegungen Struktur zu geben, um Antworten zu finden, aber wie sollte man Antworten finden, wenn man nicht genug geistige Klarheit besaß, um Fragen zu formulieren? Geschah so etwas, wenn man sich längere Zeit im Artefakt befand, wenn man Monate und Jahre in ihm verbrachte? Jähe Furcht packte Rahil, als er sich vorstellte, so zu werden wie seine Schwester, nach und nach den Verstand zu verlieren und schließlich ihren Wahnsinn zu teilen.
    Bei einem seiner Streifzüge fand er zwei mumifizierte Leichen in einem Zimmer, dessen Wände dunkler waren als die der anderen und in dem das schwache graue Licht wie ein dünner Nebel in der Luft hing. Zwei Menschen, ein Mann und eine Frau, ihre Augenhöhlen leer, die Haut trocken und brüchig wie altes Pergament. Die Kleidung ließ sich kaum mehr identifizieren und zerfiel zu Staub, als Rahil sie berührte. Lange Zeit stand er da, blickte auf die Toten hinab und fragte sich, wer sie gewesen waren und wie sie es geschafft hatten, ins Innere des Artefakts zu gelangen. Vielleicht, dachte er, lagen hier die sterblichen Überreste von zwei Beauftragten seines Vaters, die Jazmine damals zum Artefakt gebracht hatten.
    Diesem Gedanken folgte ein anderer, der lautete: Wieso bin ich hier? Wieso befinde ich mich im Innern des Artefakts?
    Die Schmiedin Thresa konnte es nicht für ihn geöffnet haben, denn sie war gestorben. Jazmine kam dafür auch nicht infrage, denn Rahil erinnerte sich nicht an einen Kontakt mit ihrer Präsenz.
    Während er noch auf die beiden mumifizierten Leichen starrte, reifte eine Erkenntnis in ihm. Als die Femtomaschinen versagt hatten und die Rüstung von ihm abgefallen war … Im Moment des Fallens war es ihm gelungen, eine Tür zu öffnen, von deren Existenz er gar nichts gewusst hatte.
    Arme Jazmine, dachte er und sah sie vor sich, das schwache, von Krankheit gezeichnete Mädchen, getroffen von zwei silbernen Nadeln aus einer Kzosek-Waffe. Aber er wusste nicht, welche Jazmine mehr Mitleid verdiente: jene, die er hatte sterben sehen, oder die im Artefakt, geboren in einem Uterus, nicht aufgewachsen, sondern gezüchtet , ausgestattet mit einem fehlerhaften Image, das Ergebnis genetischer und geistiger Manipulation. Und zu welchem Zweck?
    Die Frage war bereits Teil der Antwort. Die genetische Manipulation, hinter der Coltan Jaqiello steckte – der wiederum einen auf Jere Laureno Tennerit zurückgehenden Plan fortsetzte –, hatte Jazmine und ihn, Schwester und Bruder, mit den Fähigkeiten ausstatten sollen, die ein Schmied brauchte, um eine polychrome Schmiede zu programmieren und zu steuern.
    »Wir sollten die Werkzeuge unseres Vaters sein, Jaz, verstehst du das?«, fragte Rahil bei einer anderen Gelegenheit, als sie durch den großen Spiegelsaal wanderten. Jazmine besuchte ihn gern, vielleicht deshalb, weil sie in den zahllosen Spiegelbildern Teile von sich zu finden hoffte, die ihr fehlten. Mit schlafwandlerischer

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