Artefakt
die einer der Berge von seiner Flanke schüttelte. Thresa wies darauf hin, dass das Absorptionsfeld des Artefakts immer intensiver wurde – ohne die Neutralisatoren hätten sie im Tal nicht länger als einige wenige Minuten überleben können. Rahil fragte sich, ob sie unter diesen Bedingungen überhaupt in der Lage waren, das Artefakt zu erreichen. Er beobachtete Elisha, die überhaupt nicht verunsichert wirkte und zielbewusst einen Fuß vor den anderen setzte. Blieb sie deshalb so selbstsicher und ohne Furcht, weil sie die Gefahr, der sie ausgesetzt waren, nicht richtig verstand? Oder lag es daran, dass sie jederzeit ihre Gestalt verändern und sich Flügel wachsen lassen konnte, um nach Süden zu fliegen und den Einflussbereich des Artefakts zu verlassen, bevor es zu spät für sie war?
Schließlich erreichten sie das Objekt, das aus der Zukunft gekommen war, und Rahil stellte fest, dass es sich verändert hatte. Der Oktaeder, schwarz wie die Nacht, existierte nach wie vor, aber er ruhte nun auf einem mehr als zehn Meter hohen stufenförmigen Podest und war umgeben von zahlreichen kleinen und großen Türmen, die wie Stalagmiten aus Obsidian aus dem pulverisierten Talboden wuchsen. Ein dumpfes Brummen hing in der Luft, mehr Vibration als Geräusch, und in Rahils Kopf nahm ein Druck zu, den er auch bei seinem ersten Aufenthalt an diesem Ort gespürt hatte. Es fühlte sich nach einer kalten Hand in seinem Schädel an, die sich langsam um das Gehirn schloss. Die Femtomaschinen reduzierten ihre Funktion auf das Notwendige, was Rahils Wahrnehmung einschränkte, und die Rüstung übermittelte Warnsignale – es drohte eine Unterbrechung der Nervenverbindung.
Nur einige wenige Polymer-Buckel erinnerten an das Lager der Archäologen, die an diesem Ort Ausgrabungen vorgenommen und dabei herausgefunden hatten, dass der größte Teil des Artefakts, zweihunderttausend Tonnen, im Boden steckte.
Als sie nur noch hundert Meter von den peripheren Türmen des Artefakts trennten, taumelte Thresa und hob eine Hand zum Kopf. »Es geht mir nicht gut, Missionar Tennerit«, ächzte sie. »Es geht mir nicht gut.«
Elisha blieb abwartend stehen, in ihrem Gesicht ein Ausdruck, den Rahil nicht zu deuten vermochte.
»Neutralisatoren auf maximale Leistung«, sagte er. »Wir sind fast da.«
Sie gingen weiter, und Thresa schien mit jedem zurückgelegten Meter schwächer zu werden. Noch fünfzig Meter, und sie konnte sich kaum mehr auf den Beinen halten. Rahil trat an ihre Seite und stützte sie.
Das Brummen wurde lauter, schien jede einzelne Körperzelle erzittern zu lassen. Wieder bebte der Boden unter ihren Füßen, und mit einem dumpfen Knirschen wuchsen auf der linken Seite des zentralen Oktaeders weitere Türme empor, so spitz, dass in Rahil die Vorstellung entstand, sie könnten Moleküle aufbrechen und vielleicht sogar Atomkerne von ihren Elektronenschalen trennen. Je mehr sie sich dem Artefakt näherten, desto größer wurde der Widerstand, auf den ihre Bewegungen stießen.
»Die Barriere«, sagte Thresa mühsam, blieb stehen und nahm den Rucksack ab. »Phasenübergänge.« Sie öffnete den Rucksack, holte Instrumente hervor und legte sie in den schwarzen Staub, der zähflüssig wie Sirup in Richtung der schwarzen Türme floss.
Elisha kam näher. »Was macht sie da?«
Die Stimulation durch die Femtomaschinen hatte sich auf ein Minimum reduziert, und hinzu kam der Druck im Kopf – es fiel Rahil schwer, konzentriert zu denken. »Sie versucht, die Barriere für uns zu öffnen.«
Komm zu mir.
»Was?«, fragte Rahil.
Thresa sah zu ihm hoch. »Ich habe nichts gesagt.«
Komm zu mir. Das Flüstern klang vertraut, aber hinter den Worten lag eine bittere Schärfe, die etwas von einem Befehl hatte.
»Es spricht zu mir«, sagte Rahil. »Das Artefakt. Ich höre seine Stimme.«
Ich habe auf dich gewartet.
Die Kzosek schüttelte den Kopf. »Ich höre nichts. Aber ich fühle das Artefakt, die Nähe der Wandlerfelder. Brodelnde Energie. Wie die Geburt einer Sonne kurz vor dem Zünden des Fusionsfeuers. Ich spüre, wie in ihre einzelnen Bestandteile aufgebrochene Materie zurückkehren will zu … neuen Strukturen, neuen Formen. Ich fühle neue Realitäten, die darauf warten, Gestalt zu bekommen. Ich fühle …« Thresa ächzte und wäre zur Seite gekippt, wenn Rahil sie nicht festgehalten hätte.
»Was fühlen Sie noch?«, fragte er. Der Kopfschmerz wurde zu einem Stechen wie von Nadeln, die sich ihm mit einem kalten Brennen in den
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