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Artefakt

Artefakt

Titel: Artefakt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Brandhorst
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Vorstellung. »Wir sind beide verändert, Jaz«, sagte er. »Du bist an Bord der Rosenduft erkrankt, erinnerst du dich?«
    »Von duftenden Rosen spricht der dumme Junge«, sang Jazmine und wanderte wieder zwischen den Spiegeln. »Obwohl doch jeder weiß, dass es hier keine Blumen gibt …«
    Rahil folgte ihr. »Du bist krank geworden, weil mit deinen Genen etwas nicht stimmte, Jaz. Vater hatte uns beide als Schmiede für das Artefakt vorgesehen, für diese Superschmiede. Wir sollten sie für ihn kontrollieren. Ich bin nie krank geworden. Was auch immer unser Vater damals mit meinen Genen angestellt hat, es ließ mich nicht krank werden. Vielleicht wegen des Fraktalschattens, dem ich damals ausgesetzt war. Jaz?«
    Er glaubte ihr Spiegelbild zu sehen, aber dann begriff er, dass sie es selbst war. Sie stand direkt vor ihm, und das graue Licht zeigte die Narben als harte, kantige Linien in ihrem Gesicht.
    »Was ist mit dir passiert, Jaz? Die Narben in deinem Gesicht … Wer hat dir das angetan?«
    »Du möchtest wissen, woher ich die Narben habe?«
    »Ja.«
    Die kahlköpfige Frau hob die Hände und zeigte ihm ihre langen Fingernägel. »Ich habe sie hiervon.«
    Und sie zerkratzte ihm das Gesicht.
    51
    Der Gedanke ließ Rahil nicht los. Jazmine war damals an Bord der Rosenduft gestorben; ihr Tod und seine Flucht hatten Coltan Jaqiello Tennerit gezwungen, seine Pläne zu revidieren. Er hatte eine zweite Jazmine geschaffen, einen Uterus von seinem Helfer bei den Hohen Mächten mit der DNS der Toten programmiert und der Wiederhergestellten ein Image gegeben, das fehlerhaft war und Erinnerungslücken aufwies. Rahil stellte sich vor, wie verzweifelt sein Vater gewesen sein musste, wenn er zu so improvisierten Maßnahmen gegriffen hatte. Er selbst oder Beauftragte von ihm hatten die zweite Jazmine nach Heraklon gebracht, an Bord eines diplomatischen Schiffes, mit dem der neue Botschafter des Dutzends unterwegs gewesen war. Aber jene zweite Jazmine war schlecht vorbereitet gewesen und hatte ihrem Zweck nicht genügen, ihre Aufgabe nicht erfüllen können. Rahil spekulierte lange über den Grund dafür. Lag es am fehlerhaften Image, aufgezeichnet von Personen, die sich mit solchen Dingen nicht so gut auskannten wie die Techniker der Ägide? Lag es daran, dass die zweite Jazmine in einem Uterus entstanden war, mit einer genetischen Manipulation, die die biologische Schmiede vielleicht als Fehler erkannt und zu korrigieren versucht hatte? Die Uteri der Primären funktionierten auf diese Weise. Mit DNS und RNS als Bauplan setzten sie die biologische Konstruktion in Gang, und während das neue Wesen auf der Grundlage dieser genetischen Programme entstand, berichtigten sie alle Fehler, auf die sie trafen. Für Coltans Wissenschaftler – Rahil zögerte, diese Bezeichnung zu verwenden, denn er kannte die Wissenschaftler der Bruch-Gemeinschaft und Ägide, und damit ließen sich die »Fachleute« auf Caina nicht vergleichen – musste es sehr schwer gewesen sein, den von ihnen verwendeten Uterus daran zu hindern, die genetische Manipulation rückgängig zu machen. Möglicherweise hatte das von ihnen in Jazmines DNS abgelegte Programm deshalb nicht wie vorgesehen funktioniert.
    Oder lag es am Trauma? Man hatte seine wiederauferstandene Schwester als Kind hierhergebracht, und ihre beiden Begleiter – der Mann und die Frau, deren mumifizierte Leichen Rahil gefunden hatte – mussten kurze Zeit später gestorben sein. Das Kind war allein gewesen und nur von den »Stimmen« begleitet aufgewachsen, die es nicht verstand, in einer Umgebung, wie sie rätselhafter kaum sein konnte.
    In diesem Zusammenhang drängten sich ihm andere Fragen auf. Zum Beispiel: Wovon hatte sich Jazmine all die Jahre ernährt, und auch er selbst all die Wochen, seit er sich im Artefakt befand? Spielten hier solche Dinge überhaupt eine Rolle? Er rief sich ins Gedächtnis zurück, dass er seine Umgebung durch einen Filter sah, geschaffen vom eigenen Gehirn. Mit Femtomaschinen und Rüstung wäre er vielleicht imstande gewesen, hinter den Vorhang des Scheins zu sehen und dort die wahre Realität zu erkennen. Oder auch nicht. Vielleicht war die hiesige »wahre Realität« so fremdartig, dass sein Gehirn nicht damit fertigwerden konnte, weil ihm entsprechende Erfahrungswerte fehlten. Er sah ein dunkles Gebäude, umgeben von einer hohen Mauer jenseits der Gräber mit den weißen Grabsteinen, mit endlosen Fluren und zahllosen Türen, die sich öffneten, bis auf die eine am

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