Artefakt
Sickerwasser.«
»Es muß viel Wasser gewesen sein«, konterte George, »um soviel Gestein abzutragen.«
»Die Kliffs sind weicher Kalkstein; die Brandungserosion hat viel davon abgetragen. Dieser Sandstein hier…« Sie streckte die Hand aus und rieb daran. Die Oberfläche zerbröckelte in Sandkörner. »In Griechenland fällt eine Menge Regen – die Niederschlagsmenge ist höher als man glaubt für ein trockenes Klima. Alles ruht auf Kalkstein. Im Laufe der Jahrtausende hat die Wassererosion riesige Karsthöhlen entstehen lassen. Sie durchlöchern den Untergrund wie einen Schweizer Käse. Weil die Menschen das Land entwaldet haben, wird das Regenwasser nicht im Boden festgehalten, sondern sickert durch und verliert sich in den unterirdischen Höhlen und Wasserläufen des Karstes. Die Oberfläche trocknet rasch aus, und die Landwirtschaft leidet unter Wassermangel. Diesen Vorgang können wir hier beobachten.«
»Vielleicht wußten die Erbauer das«, sagte George.
»Das ist nicht wahrscheinlich. Vergiß nicht, daß sie vor 3500 Jahren lebten. Damals muß es hier noch viel natürlichen Wald gegeben haben, der günstigere Klimabedingungen schuf und einen ausgeglichenen Wasserhaushalt bewirkte. Die Aushöhlung reichte vielleicht kaum tiefer als bis hierher.«
»In Mykene legten sie die Stadtmauern so an, daß sie unterirdische Quellen umschlossen. Dann schlugen sie einen zwanzig Meter tiefen Brunnenschacht, um an eine zu allen Jahreszeiten verläßliche Wasserversorgung zu kommen.«
»Ja, aber die Leute hier lebten Hunderte von Metern entfernt hangabwärts. Wir sind fast auf der Kammhöhe. Hier oben kann niemals genug Wasser zusammengeflossen sein, um eine größere Siedlung zu versorgen. Und eine Verbindung durch ein Grab – alles was recht ist.«
John sagte: »Sie glauben also, die Leute damals hätten diese Höhle nur als einen geeigneten Ort benutzt, um den Block hier unterzubringen.«
Seine Handbewegung lenkte ihre Aufmerksamkeit auf den Steinblock. Er war würfelförmig, und seine rückwärtige Hälfte ruhte auf einer Steinplatte. Die Rückseite trug keine Inschrift, keine Dekoration irgendwelcher Art. In der Mitte der Rückseite war ein Fleck gelblichen Materials, das eine etwa handtellergroße Fläche bedeckte.
John stand gebeugt, um nicht mit dem Kopf gegen die überhängende Höhlenwand zu stoßen, und war sich mit Unbehagen des gähnenden Loches bewußt, das nur ein paar Schritte entfernt war. Er berührte den Steinblock mit einem Finger. »Ich frage mich, was das ist.«
»Nicht anfassen!« Die Akustik der Höhle verstärkte Claires Ruf so sehr, daß John erschrocken zurückzuckte.
»Warum, zum Teufel, nicht?« fragte er gereizt.
»Es könnten Zeichen daran sein, sogar Fingerabdrücke«, sagte Claire schnell, aber mit gedämpfter Stimme.
»Das sieht nach einem gewöhnlichen Steinblock aus, und sonst gibt es hier nichts als Geröll und Erde, weiß Gott was. Nichts Besonderes.«
»Wir wissen nicht, was ›besonders‹ ist, bis wir es analysieren«, sagte sie.
George war zu ihnen hereingekrochen und stand auf. Der Platz reichte kaum für drei, ohne daß man zu nahe an die Öffnung gedrängt wurde. John schob sich sicherheitshalber in eine Sandsteinnische.
»Das scheinen Inkrustationen zu sein«, sagte George und richtete den Kegel seiner Handlampe auf die gelbliche Masse. »Ich habe den Block bereits auf Fingerabdrücke und dergleichen untersucht. Nichts. Das Zeug sieht schwefelhaltig aus. Riech mal daran!«
Claire bückte sich und schnupperte. »Salzig.«
»Klar. Feuchtigkeit vom Salzwasser ist so lange durch diesen Höhlengang gezogen, daß man sich nicht zu wundern braucht. Diese Seite des Blocks ist mit Salz überzogen – hier.«
Der Lichtkegel zeigte winzige glitzernde Kristalle in der rauhen Oberfläche.
Claire nickte. »Du hast wahrscheinlich recht. Wir können es wegwischen und sehen, ob wir darunter vielleicht etwas finden.«
George seufzte. Sein Vorrat an Überraschungen war erschöpft. »Ich dachte, ich hätte wirklich etwas gefunden, als ich das erste Mal durchkroch. Eine verborgene Schatzkammer, unentdeckt von den Grabräubern, etwas von der Art.«
»Es gibt noch das Loch hier unten, nicht wahr?« sagte John.
»Ja, ich werde es mir ansehen, glaube aber, daß es nur ein natürlicher Wasserlauf ist, der irgendwo in den Ozean mündet.«
John kauerte bei der Öffnung nieder. Die Seiten waren von der Wassererosion geglättet und schimmerten feucht. Keine einladende Oberfläche,
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