Artefakt
Zypressen den blassen Herbsthimmel auf. Der Hitzedunst des Sommers war gewichen, und sie konnte die fernen Schluchten ausmachen, die das Bergland zerrissen und zur Ägäis hin abfielen. Trockene Bachbetten schlängelten sich in knochenbleichen Windungen am Grund jeder Schlucht dahin und schimmerten wie abgestreifte Schlangenhäute.
Hoch oben kreiste ein Bussard ohne einen Flügelschlag in der Thermik über der Küste. Claire beschirmte die Augen gegen das grelle Licht und überlegte, wie unbedeutend das enge kleine Tal von dort oben aussehen mußte – gelbbraune Hügel, ausgedörrt von der Sonne und den Winden, ein graues Schachbrettmuster, wo die griechisch-amerikanische Ausgrabung im Gange war, die braungrauen, staubigen und ausgefahrenen Zufahrtswege, alles eingegrenzt von einem weiten Blick über die stahlblaue See. Oder vielleicht glitt der Bussard mit absoluter Gleichgültigkeit über solche Zeichen menschlicher Tätigkeit hin, gerade so wie damals, als die längst eingefallenen Steinmauern pulsierendes Leben beherbergt hatten. Die Begleitgeräusche menschlichen Strebens würden sich von dort oben wie bloßes Hintergrundgeräusch ausnehmen, verglichen mit dem leisen Piepsen und Rascheln der Beute.
Der Bussard legte sich auf die Seite und zog einen engeren, absinkenden Kreis, konzentriert auf das Wesentliche.
Sie gingen den steinigen Weg hinunter. Mehrere hundert Meter entfernt, wo die ungeteerte Straße das Lager erreichte, bremste geräuschvoll ein Jeep. Eine gelbbraune Staubwolke hüllte ihn ein.
»Sieh an«, sagte sie. »Hat sich einen schmucken kleinen Jeep zugelegt.«
»Sehr modebewußt, der Oberst.«
Als sie sich dem Lager näherten, hörten sie schnelles, aufgeregtes Reden. Am Tonfall erkannte sie Dr. Alexander Kontos, den griechischen Kodirektor der Ausgrabung, ehe sie ihn neben dem Jeep stehen sah. Er sprach zornig auf eine wettergegerbte braune Gestalt ein – den Verwalter des Lagers, der den Wortschwall ohne Wimpernzucken über sich ergehen ließ.
Kontos blickte nicht zu Claire und George auf, als sie die Kehren des Weges zu den wenigen verbliebenen Zelten des Lagers herabkamen und auf den Jeep zugingen. Claire war es unmöglich, den Schwall von umgangssprachlichen Wendungen und Jargon zu verstehen, der Kontos über die Lippen ging, aber es schien sich darum zu handeln, daß er den Verwalter für die Abwesenheit der Arbeiter verantwortlich machte. Sein Gegenüber zuckte bloß die Achseln und erklärte, daß die Männer entweder an den sich ausbreitenden politischen Versammlungen und Demonstrationen teilnähmen oder sich fürchteten, für die Amerikaner zu arbeiten, weil sie mit der Mißbilligung ihrer Freunde rechnen müßten.
Kontos schlug mit der flachen Hand auf den Jeep. »Sorgen Sie dafür, daß die Leute zurückkommen!« rief er auf griechisch. Dann sah er Claire, und seine Miene wie seine Haltung wandelten sich von einem Augenblick zum nächsten.
»Ah! Die wunderschöne Claire. Ich hoffe, die Abwesenheit dieser unwissenden Bauern hat Sie nicht beunruhigt.«
»Nicht im mindesten. Wir hatten nicht mehr viel zu tun, als…«
»Ausgezeichnet. In Athen bereitet sich Großes vor, und ich werde nicht viel Zeit für diese Ausgrabung erübrigen können. Es ist gut, daß die Arbeiten weit fortgeschritten sind.«
»Was geht in Athen vor?« fragte George.
Kontos’ Miene wurde wieder etwas unfreundlicher, als er sich zu George wandte und das kräftige Kinn vorschob. »Nichts, was Sie billigen würden, des bin ich sicher.«
George zeigte ein schiefes Lächeln. »Vielleicht nicht.«
»Die Zeiten der Zwietracht und Zerrissenheit haben ein Ende. Die Parteien der Mitte sind auf unsere Seite getreten.«
»Wohin wird das führen? Zu einem Einparteienstaat?«
»Zum wahren Sozialismus.«
»Und die anderen Parteien?«
»Sie werden mit der Zeit folgen.«
Kontos trug eine maßgeschneiderte Armeeuniform, die seine dicken Oberarmmuskeln und die breite, kräftig gewölbte Brust gut zur Geltung brachte. Seine mit schimmernder Goldlitze verzierte Schirmmütze saß auf einer schwarzglänzenden Haarmähne. Das lange, schmale Gesicht wurde durch die Unterbrechung eines buschigen Schnurrbarts vor Hagerkeit bewahrt. Seine Sonnenbräune versteckte das feine Geflecht von Fältchen um die Augen, das sein Alter – Mitte vierzig, vermutete Claire – besser verriet als alles andere.
George nickte mit nüchterner Miene. »Kein Zweifel.«
»Darum muß ich meinen Aufenthalt hier bei Ihnen abbrechen.« Er
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