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Artgerecht ist nur die Freiheit: Eine Ethik für Tiere oder Warum wir umdenken müssen (Beck'sche Reihe / Beck Paperback) (German Edition)

Artgerecht ist nur die Freiheit: Eine Ethik für Tiere oder Warum wir umdenken müssen (Beck'sche Reihe / Beck Paperback) (German Edition)

Titel: Artgerecht ist nur die Freiheit: Eine Ethik für Tiere oder Warum wir umdenken müssen (Beck'sche Reihe / Beck Paperback) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hilal Sezgin
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    Ein letztes und schlagendes Argument für tierische Empathie liefert die Entdeckung der Spiegelneuronen, die oft die biologischen Grundlagen der Empathie genannt werden, am Tier, nämlich an einem Makaken. Italienische Forscher kamen den Spiegelneuronen erstmals 1992 auf die Spur, als ein mit Hirnelektroden verkabelter Makake im Versuchsstuhl saß und der Experimentator nach einer Rosine griff und dabei einen Blick auf den Monitor warf, der die Hirnströme des Affen wiedergab: Die Neuronen des Affen feuerten, beinah, als hätte er selbst nach einer Rosine gegriffen. Spiegelneuronen reagieren, auch wenn das Lebewesen die dazugehörige Handlung nicht selbst ausführt, sondern tatsächlich nur bei einem anderen beobachtet oder davon hört oder sie sich vorstellt. Spiegelneuronen spiegeln Emotionen und Körperempfinden des einen Lebewesens in abgeschwächter Form bei einem anderen, und das oft sogar artübergreifend.
    Allerdings habe ich es immer mindestens genauso erforschenswert gefunden, warum die Spielneuronen manchmal
nicht
feuern. Es ist ja schön und gut zu wissen, dass der Affe empfand, als hätte er selbst die Hand nach einer Rosine ausgestreckt. Aber wieso hat der Forscher nicht mitempfunden, wie es ist, mit einem an den Schädel montierten Bolzen in einem Affenstuhl fixiert zu sein? So zeigen uns viele solcher Versuche eben nicht nur, wie sich ein Tier einfühlen, sondern auch, wie sich ein Mensch der Einfühlung verschließen kann.
    Die beschriebene Einfühlung ist allerdings nicht dasselbe wie Moral. De Waal beschreibt in seinem Buch nicht nur viele Beispiele für Empathie, sondern auch, dass er oft beobachtet hat, dass den Tieren eine zweite Fähigkeit fehlte: die, sich so weit in den anderen hineinzuversetzen, dass sie ihm auch wirklich helfen konnten. Also nicht nur zu erkennen, dass ein anderer in Not ist, sondern auch zu verstehen, was dieser andere braucht.[ 19 ]
    Zum moralischen Verhalten im engeren Sinne benötigt man sogar noch ein Drittes: nämlich die Fähigkeit, sich bewusst zu den eigenen impulsen zu verhalten. Natürlich verfügen auch Tiere über die Fähigkeit der Impulskontrolle, zum Beispiel reißt sich ein (entsprechend erzogener) Hund zusammen, nicht dem Stöckchen hinterherzurasen, bevor es ihm erlaubt wird.[ 20 ] Dennoch kann man nicht davon ausgehen, dass er abstrakte Überlegungen zur Gewichtung des eigenen Wunsches im Vergleich zu einem Befehl anstellt. Auch wir Menschen tun dies bei Weitem nicht immer. Große Teile unseres täglichen moralischen Verhaltens sind einfach ansozialisiert, internalisiert, routiniert. Wenn nötig, können wir allerdings die Gründe einer Handlung angeben und erklären, warum wir sie besser finden als eine andere; wir können auch anhand solcher abstrakter Gründe zu der Überlegung kommen, dass es besser wäre, sich anders zu verhalten.[ 21 ] Zwar sind viele Tiere der Empathie fähig, aber vermutlich kann sich nur ein Mensch ab einem gewissen Alter und einer gewissen geistigen Reife zu den empathischen Empfindungen und zum jeweiligen Verhaltensimpuls rational abwägend verhalten.[ 22 ]
    Ist nun das, was ich als emotionale und kognitive Fähigkeit beschrieben habe, dasselbe, was man Mitgefühl nennt? Die Tierethikerin Ursula Wolf sieht in Anlehnung an Schopenhauer das Mitleid als eine Basis der Moral, gerade auch gegenüber Tieren.[ 23 ] Solch eine Aussage provoziert natürlich den klassischen Einwand, Mitleid sei nicht universalisierbar.Mitleid ist parteiisch. Es vermischt individuelles Mögen und Nicht-Mögen mit allgemeinem Sollen und Nicht-Dürfen. Wenn Mitleid nichts als ein Gefühl ist, kann man es anscheinend, wie alle Gefühle, weder fordern noch erzwingen. Viele Mitleidsethiker entgegnen darauf, dass Mitleid doch erlernbar, rational belehrbar und kultivierbar sei; dass das Mitleid selbst vielleicht nur ein erster Impuls sei, dem andere moralische Tätigkeiten folgten.
    All dies mag stimmen, aber was ich im Sinn habe, ist weder Mitleid noch unbedingt Gefühl. Es handelt sich auch nicht allein um die Befähigung zur Empathie, die im Zusammenhang mit tierischem Verhalten beschrieben wurde, sondern um eine Einsicht, die so grundlegender Art ist, dass sie zur Universalisierung auffordert; sie führt von der vollständigen Wahrnehmung eines konkreten Einzelfalls zu einer allgemeineren Erkenntnis. Man könnte sogar so weit gehen zu sagen, dass dem Wahrnehmen des Eigenen das Wahrnehmen des Anderen logisch folgt. Denn um zu wissen, dass dies hier ich

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