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Artgerecht ist nur die Freiheit: Eine Ethik für Tiere oder Warum wir umdenken müssen (Beck'sche Reihe / Beck Paperback) (German Edition)

Artgerecht ist nur die Freiheit: Eine Ethik für Tiere oder Warum wir umdenken müssen (Beck'sche Reihe / Beck Paperback) (German Edition)

Titel: Artgerecht ist nur die Freiheit: Eine Ethik für Tiere oder Warum wir umdenken müssen (Beck'sche Reihe / Beck Paperback) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hilal Sezgin
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Ja, es gibt eine Pflicht zur Hilfe, aber sie kommt da an ihre Grenze, wo wir die elementarsten Rechte unschuldiger anderer verletzen.
    Selbst wenn wir also zugestehen, dass wir die Interessen von Menschen ein wenig schwerer gewichten wollen als die von Tieren, bleibt die Bilanz eindeutig, dass wir Tieren ein Leid dieses Ausmaßes (wie bei invasiver medizinischer Forschung oder Toxizitätstests etc.) nicht absichtlich zufügen dürfen. Aus einer solchen Ablehnung von Tierversuchen folgt natürlich nicht, dass es keine medizinische Forschung mehr gäbe, und empirisch treffen viele der Unterstellungen, die ich im Dienste meiner Zuspitzung eingangs gemacht habe, ohnehin nicht zu. Tatsächlich lehnen einige Ärzte Tierversuche nicht primär aus tierethischen, sondern aus humanmedizinischen Gründen ab: Es gibt bei der Übertragung von Spezies zu Spezies einfach furchtbar viele Fehlerquellen.[ 33 ] Tierversuche können nicht nur überflüssig, sondern sogar irreführend und daher gefährlich sein. Für viele Tierversuche gibt es inzwischen Alternativen, so dass ihre Abschaffung kein Ende des medizinischen Fortschritts bedeuten würde.
    Selbst wenn die Menschheit niemals auf Descartes’ barbarische Idee verfallen wäre, Tiere seien gefühllose Maschinen, die man ungerührt bei lebendigem Leib sezieren könne, hätten wir vielleicht dieselben medizinischen Fortschritte gemacht. Vielleicht sogar andere, weiterreichende? Letztlich kann man ja nur verstehen und heilen, was man mit der eigenen Weltsicht und dem vorgegebenen Bezugsrahmen in den Blick bekommt; wenn unsere medizinische Wissenschaft in ihren Ursprüngen nicht ein gar so mechanistisches und auch irgendwie hartherziges Bild vom lebenden Körper verfolgt hätte – hätten wir dann vielleicht auch mehr über die biologischen Zusammenhänge verstanden?
    Wie kommen die Experimentatoren selbst damit überhaupt zurecht? Während ich an diesem Kapitel schrieb, rief eine Bürgerinitiative in einem kleinen Ort in der Nähe von Hamburg zu einer Demonstration auf. Am Rande des Orts befindet sich ein Tierversuchslabor, und man kann vonaußen die Zwinger mit den Beagles sehen und die Hunde ununterbrochen bellen hören. Anscheinend hatten die Anwohner, die das Bellen von zu Hause aus hörten, viele Jahre lang gedacht, es handele sich einfach um eine Hundezucht. Als sie herausfanden, was wenige hundert Meter entfernt passiert, engagierten sie sich in einem Verein.
    Mit ein paar Bekannten fuhr ich zu diesem Labor, um es von außen zu fotografieren. Wir parkten das Auto auf einem Feldweg und gingen an dem Stacheldraht entlang. Schon von weitem ließen sich per Teleobjektiv Dutzende Zwinger ausmachen, jeder mit etwa fünf Beagles. Keine Welpen, aber doch junge Tiere, sie bellten ohne Unterlass und sprangen immer wieder an den Gittern ihres Zwingers hoch. Vermutlich verschafften sie sich einfach ein bisschen Bewegung, stachelten einander zu einer gewissen Aufregung an. Junge Hunde eben, aber leider keine, die man jemals im weiten Bogen über einen Strand oder eine Wiese rennen sehen wird.
    Wir gingen um die Gebäude herum, kamen zu einem Parkplatz, und ich erkannte ein Phänomen wieder, das mir schon einmal aufgefallen war: In einem Schweinetransporter hatte ich einmal ein Plüschschwein am Rückspiegel hängen gesehen, quasi als Talisman. Ich fand es etwas sonderbar, hielt es aber für Zufall. Nun standen auf dem Parkplatz etwa zwanzig Autos, und etliche hatten Plüschtiere auf dem Armaturenbrett: einen großen Marienkäfer, eine lebensgroße Schildkröte, ein anderes ein Schaf und einen blauen Plüschfisch. (Sind Plüschfische eigentlich häufig? Ich stutzte, weil diese Firma auch mit Fischen experimentiert.)[ 34 ] In einem Auto saß doch tatsächlich unter einer Windschutzscheibe ein Plüschhund, und auf einem anderen klebte ein humoriger Aufkleber mit der Aufschrift «VIP DOG». Das verblüffte mich nun wirklich. In einem Viertel der zwanzig Autos saßen jeweils ein bis drei Plüschtiere; und zwei von zwanzig Menschen, die jeden Tag zu einer Arbeitsstätte fuhren, wo man seine Ohren buchstäblich nicht vor dem Gebelleingesperrter Hunde verschließen kann, hatten hundefreundliche Utensilien im und am Auto.
    Vielleicht gab es einen Zusammenhang zwischen «hartem» Berufsalltag und «kindlichen» Plüschtieren. Schließlich wählen viele Menschen den Ausbildungsberuf des Tierpflegers, weil sie Tiere lieben und sich vorab nicht klar machen, dass es viel wahrscheinlicher auf eine

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