Artgerecht ist nur die Freiheit: Eine Ethik für Tiere oder Warum wir umdenken müssen (Beck'sche Reihe / Beck Paperback) (German Edition)
Stelle im Labor als in einem Streichelzoo hinauslaufen wird. Waren die Plüschtiere ein Versuch, das ganze Dilemma vor sich selbst umzudeuten? «Ich liebe Hunde. Bei der Arbeit sehe ich jeden Tag welche.» Vielleicht wollte auch der LKW-Fahrer nicht sagen (oder von sich selbst denken) müssen: «Ich fahre Schweine in den Tod», sondern: «Ich mag Schweine, und ich arbeite mit ihnen.» Etwa so? Ich weiß es nicht. Doch eines zeigen die Plüschtiere klar: dass diese Menschen nicht ganz unberührt sind von dem, was sie jeden Tag tun oder was um sie herum vorgeht. Es scheint sie mental (wenn auch nicht unbedingt bewusst) zu beschäftigen. Es ist sogar übliche Praxis, jedem Experimentator ein Tier zuzuteilen, das nicht in die Versuche einbezogen wird, sondern um das er sich wie um ein Heimtier kümmern kann. Anders wäre die Laborsituation schwer auszuhalten.[ 35 ]
Bei der Firma, zu der dieses «Labor und Sammellager» gehört, handelt es sich um ein Auftragslabor. Sie testet im Auftrag anderer Firmen alle möglichen Substanzen. Verwendet werden der Firmenwebsite zufolge Mäuse, Ratten, Hamster, Meerschweinchen, Kaninchen, Hunde, Affen, Katzen, Schweine, Fische und Vögel, und zwar mit folgenden Methoden: oral, intraperitoneal (Injektion in die Bauchhöhle), intravenös, per Infusion, dermal, per Inhalation, intravaginal, intrathekal (ins Rückenmark), rektal und per Eingabe in den Augenlidsack.
Diese Aufzählung ist nicht leicht zu lesen, sie klingt ein wenig nach Folterkammer. Viele der Menschen, die dort arbeiten, lässt anscheinend der Anblick von Hunden, Fischen,Schafen und Schildkröten nicht kalt. Die Frage ist nun: Wollen wir, dass diese Menschen überhaupt erst lernen, es über sich zu bringen, Tieren intravenös, rektal, vaginal und ins Rückgrat diverse Gifte zu applizieren? Zwei der Angestellten hatten Kindersitze im Auto. Welche Vorstellung behagt uns eher: dass sie ihren Kindern, nach ihrem Beruf befragt, die Wahrheit sagen – oder doch besser eine Lüge?
Möchten wir, dass jemand, der sein Leben der Suche nach einem Heilmittel widmet, als allererstes lernt, andere krank zu machen, leiden zu lassen und ihr Leiden zu ignorieren? Wollen wir eine Wissenschaft, die von ihren Studenten und Wissenschaftlern verlangt, sich erst einmal durch das Nadelöhr solch prekärer ethischer Situationen zu zwängen (und dabei Augen und Ohren zu verschließen), um danach die «Geheimnisse des Lebens» (so heißt es oft über die Biologie) oder die unserer Körper (Humanmedizin) zu erforschen? Und wollen wir eine Gesellschaft sein, die in diversen Institutionen Tausende und Abertausende von fühlenden Wesen bevorratet, um sie je nach Auftrag zu malträtieren?
Die Tests der Firma mit den Beagles dienen übrigens verschiedenen Zwecken, die ebenfalls auf der Website angegeben sind: Es geht um Verträglichkeit und Giftigkeit von pharmazeutischen Stoffen (für die Verwendung in Human- und Veterinärmedizin), von Industriechemikalien, von Chemikalien aus dem Agrarbereich, von Nahrung und Nahrungsmittelzusätzen. Kurzum, diese Firma testet alles, was man bei ihr in Auftrag gibt. Tierversuche sind ein lukratives Geschäft. Werden solche Firmen von sich aus entscheiden, umfangreich in neue Methoden zu investieren, die ohne das auskommen, was ihre bisherige Wirtschaftsgrundlage ist? Wenn ein solcher Verbund aus Pharma- und sonstiger Industrie sagt: Wir brauchen Tierversuche, und wir machen sie in akzeptabler Form – glauben wir das?
Dieses Kapitel enthält in seinen letzten Abschnitten viele Fragen, doch es sind nicht nur rhetorische Fragen. Ich habebereits gesagt, dass ich zu Beginn meiner Arbeit an diesem Thema unsicher war, wie kategorisch mein Nein zu Tierversuchen schließlich ausfallen würde, ob es nicht doch welche gäbe, die man vertretbar finden könnte. Und mit dem einmaligen Stellen und Beantworten dieser Fragen ist es nicht getan. Die Realität sieht so anders aus! Kann es wirklich sein, dass unsere gängige, durch demokratische Gesetze legitimierte Praxis ganz falsch ist? Ich fürchte aber, so ist es. Gleichzeitig renne ich selbst immer und immer wieder gegen mein eigenes Staunen, ja Entsetzen, an. Da ist diese Hoffnung, dass die Realität doch bitte nicht ganz so schlimm sein möge.
Es ist unglaublich schwer, sich von dem eingeübten Blick auf diese Missstände zu lösen, aber ich denke, wir müssen es tun. Wir müssen das, was wir ausblenden, immer wieder in unser Bewusstsein, unser Gewissen zurückholen. Wir
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