Artgerecht ist nur die Freiheit: Eine Ethik für Tiere oder Warum wir umdenken müssen (Beck'sche Reihe / Beck Paperback) (German Edition)
romantisieren, wenn er fern von uns stattfindet, wenn er ein namenloses Tier ereilt und ihn der Nimbus des Natürlichen, Ursprünglichen, Wilden umgibt.[ 3 ] So schwer wir uns ansonsten tun, den Tod als Teil des Lebens zumindest zu akzeptieren, so leicht fällt es uns in anderen Situationen, vom «Zyklus der Natur» zu sprechen und den Tod als Teil des Lebens zu verklären. Wir bewundern große Greifvögel und Raubkatzen im Fernsehen, obwohl oder gerade weil wir sehen, dass ihre Lebensweise für andere einiges Unheil birgt. Wenn in der Savanne Beute geschlagen wird, wollen wir das auf unserem Bildschirm in Großaufnahme sehen. Auch in einer Szene wie der jenes Anglers erscheint der Todeskampf des Fisches geradezu als Beweis von Lebendigkeit, wird der Tod fast zum Siegel des Lebens.
Doch das ist ein Missverständnis. Ja, der Tod gehört zu jedem Leben; doch er beendet es nun einmal. Es ist nichts Schönes oder Romantisches an dem Tod eines Fisches – für den Fisch. Der Geangelte freut sich nicht, Teil einer Nahrungskette mit dem Endziel Mensch zu sein. Auch die Antilope, deren Tötung durch einen Leoparden wir im Fernsehen in Zeitlupe sehen, wohnt keiner erhabenen Erfahrung bei. Sie denkt nicht: «Herrlich, welch mächtige Großkatze mich in ihren Pranken hält – und von BBC Nature wird dieser Moment sogar für die Ewigkeit fixiert!» Die Antilope will einfach nur entkommen. Sie will leben, aber sie leidet und stirbt.
Worauf beruht dann der Charme alter Stillleben mit toten Hasen und Fasanen, oder die Glorifizierung der Virilität des Stierkampfs, oder die Reaktion eines Kindes, das ein überfahrenes Tier am Straßenrand sieht und von dem Anblick herausquellender Därme gleichzeitig abgestoßen und elektrisiert ist? Die Begegnung mit dem Tod (eines anderen) hat eine archaische Komponente, von der eine gewisse Faszination ausgeht – doch vor allem dann, wenn dieser Tod uns nichts kostet. Am fremden Tod können wir, ähnlich wie in den Horrorszenen eines Kinofilms, eigene Angst durchleben und überstehen, dem Schlimmsten begegnen und ins Leben zurückkehren. Doch das unterscheidet den Betrachter eben von dem Sterbenden. Der Tod ist für den, der ihn stirbt, eine oft schmerzhafte, in jedem Fall aber äußerst nüchterne, fast demütigend profane Angelegenheit.
Ist Tiere töten natürlich?
Dem Tod von Tieren begegnen wir vor allem während unserer Mahlzeiten. Wenn er also nicht schön ist, nicht romantisch, nicht erhaben – ist der Tod der Fische oder Rinder, die wir essen, dann wenigstens natürlich? Fressen und gefressen werden. Der Lauf der Welt. Irgendetwas muss man ja essen. Der Mensch ist ein Allesfresser, Fleischessen gehört zur Geschichte der Menschheit, unsere Spezies hat schon immer gejagt und getötet.
Egal ob das empirisch stimmt oder nicht: Diese Antwort ist dürftig. Dass etwas schon immer so gemacht wurde, hat in einer moralischen Debatte für sich genommen kein Gewicht. Menschen haben immer wieder vergewaltigt, andere versklavt, Kriege geführt. Trotzdem besteht heute ein denkbar breiter Konsens, dass erzwungener Sex und Versklavung verabscheuenswert sind. Dass steinzeitliche Stämme auf ihre Nachbarn neidisch wurden, sie überfallen und ganze Sippenim Schlaf vernichtet haben, kann die heutige Menschenrechtskonvention nicht außer Kraft setzen.
Zugegeben, wenn ein Übel in der Geschichte der Menschheit immer wieder aufgetreten ist, erscheint es nicht allzu wahrscheinlich, dass ausgerechnet wir heute es abstellen können. Andererseits: Haben nicht früher bereits Menschen bestimmte Formen von Brutalität geächtet und versucht, einander davon abzuhalten? Wären viele Kapitel der Menschheitsgeschichte vielleicht noch düsterer, wenn es nicht schon früher die Frage gegeben hätte: Dürfen wir dieses oder jenes tun – oder ginge es auch anders, zum Beispiel mit weniger Gewalt? Die entscheidende Frage ist daher nicht: Haben Menschen dies schon immer gemacht?, sondern: Dürfen wir es denn (heute) tun? In welchen Situationen ist ein Verhalten, das andere physisch oder psychisch verletzt, eventuell doch gerechtfertigt, und wann nicht?
Das Argument, dass etwas «schon immer» gemacht wurde, kann jedoch auch eine etwas andere Form annehmen, nämlich: Gehört es nicht einfach zum Wesen des Menschen zu jagen, zu töten, zu essen? Nehmen wir dadurch vielleicht einfach Teil am natürlichen Kreislauf dieser Erde, der eben auch das Prinzip Fressen und Gefressenwerden beinhaltet, etwa so wie das Bedürfnis
Weitere Kostenlose Bücher