Artgerecht ist nur die Freiheit: Eine Ethik für Tiere oder Warum wir umdenken müssen (Beck'sche Reihe / Beck Paperback) (German Edition)
Ergebnisse zudem vor der Öffentlichkeit geheim gehalten werden).
Und zwar ist die Beurteilung von Tierversuchen meines Erachtens nicht etwa deshalb ein Roulettespiel, weil sich die Menschen in den Entscheidungspositionen zu wenig Mühe gäben, sondern weil bereits die Ausgangssituation so verengt ist und keinen Spielraum für vernünftige Entscheidungen lässt. Eine halbwegs unparteiische Abwägung, die milde speziesistisch den Interessen der Menschen Vorrang gibt, aber dennoch zugesteht, dass auch Tiere vor vermeidbaren Verletzungen eines gewissen Grades geschützt werden müssen, würde in so gut wie allen Fällen zu einer moralischen Ablehnung führen.
An dieser Stelle ist es gut, sich daran zu erinnern, dass ich mehrere empirische Bedenken außen vor gelassen hatte, um die Frage nach der Zulässigkeit von Tierversuchen so starkzuzuspitzen. Und zwar dürfen wir nicht vergessen, dass Tierversuche nicht einmal garantierten Nutzen bringen; genau genommen werden sie in viele verschiedenen Richtungen angestellt in der Hoffnung, eine davon könnte sich schließlich als hilfreich erweisen.[ 32 ] Übertragen auf das Beispiel des unfreiwilligen Organlieferanten hieße das, dass wir einen Unbeteiligten töten (und genau genommen nicht nur töten, sondern vorher bereits gefangen halten und qualvollen Voruntersuchungen unterziehen) dürfen in der bloßen Hoffnung, er besitze zufällig genau jene Blutgruppe und sonstigen Parameter, die eine Organtransplantation aussichtsreich erscheinen lassen. Welche Moral könnte das gestatten?
Zusammenfassung und mehr
Weil davon auszugehen ist, dass das Quälen von Tieren aus reinen Hobby- oder Traditionsgründen ohnehin weitestgehend abgelehnt wird, habe ich die Frage dieses Kapitels auf den heikelsten Fall zugespitzt: Wie viele Qualen dürfen wir Tieren zumuten, wenn vitale Interessen des Menschen wie der Schutz vor qualvollen oder tödlichen Krankheiten auf dem Spiel stehen? Für diesen Prozess der Abwägung habe ich zugestanden, dass wir möglicherweise einem milden Speziesismus anhängen, der zwar auch von elementaren Rechten der Tiere ausgeht, zum Beispiel dem auf Unversehrtheit und Freiheit von vermeidbarem Leid, der aber beim Nebeneinander der exakt selben Interessen von Mensch und Tier doch denen des Menschen Vorrang geben würde.
Allerdings haben sich einige entscheidende Einwände gegen die Zulässigkeit medizinischer Tierversuche ergeben. Zunächst einmal ist das Leid der involvierten Tiere zu groß. Es erreicht bezogen auf die Zahl der eingesetzten Tiere und auch im Hinblick auf jedes einzelne Tier ein Ausmaß, dasnicht akzeptabel ist. Tiere erdulden ja nicht nur die Belastungen der Versuche selbst, sondern auch die der ihnen dafür zugefügten oder bereits angezüchteten Krankheiten; sie leben ein stark verarmtes Leben und erfahren deutlichen Stress bereits bei Routineuntersuchungen. Dabei müssen wir auch an die vielen Tiere denken, die zwar eigens für einen Versuch gezüchtet wurden, dann aber doch nicht geeignet waren und in den offiziellen Tierversuchstatistiken nicht auftauchen. Schon aus diesen Gründen sollten wir Tierversuche ohne Rücksicht auf ihre etwaigen positiven Nebeneffekte gesetzlich verbieten, aus ähnlich grundsätzlichen Erwägungen wie die Folter. Zudem ist auf einen Denkfehler hinzuweisen, der uns sowohl in der philosophischen als auch in der alltagsweltlichen Diskussion über Tierversuche leicht unterläuft: Wir haben hier keineswegs zwischen dem gefährdeten Leben eines Menschen und zum Beispiel dem einer Maus abzuwägen oder zu wählen. Denn die Mäuse, über deren Interessen wir hier reden, sind am Entstehen des Problems völlig unbeteiligt und werden von uns absichtsvoll in einen leidvollen Zustand gebracht. Die ethische Frage des Tierversuchs ist nicht, wen von beiden wir retten sollen, sondern ob es, um dem einen Leid zu ersparen, zulässig ist, einem unbeteiligten anderen großes Leid zuzufügen.
Nun ist die Unterscheidung zwischen Tun und Lassen, also zwischen Leid-Ersparen und Leid-absichtlich-Zufügen oder zwischen positiven und negativen Pflichten, ein zentrales Merkmal unserer Moral. Negative Pflichten sind grundlegender und reichen deutlich weiter. Ich habe dies an dem (hypothetischen) Beispiel eines vollkommen unbeteiligten Menschen demonstriert, der auf der Straße gekidnappt, in einem Krankenhaus gefangen gehalten und dann zugunsten von fünf schwer kranken Patienten ausgeweidet wird, die auf seine inneren Organe angewiesen sind.
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