Artgerecht ist nur die Freiheit: Eine Ethik für Tiere oder Warum wir umdenken müssen (Beck'sche Reihe / Beck Paperback) (German Edition)
müssen dem Plüschtier in unserer Fantasie das Bild realer, leidender Tiere entgegenhalten. Wir müssen uns klarmachen, dass ein milder Speziesismus vielleicht verständlich – aber diese brachiale Ausbeutung nicht zu rechtfertigen ist, und zwar genauso wenig wie all die Formen von Qual, von denen ich eingangs erzählt habe. Wir müssen uns durchringen zu sagen: Versuche an Tieren sind moralisch einfach nicht in Ordnung.
Drittes Kapitel
Dürfen wir Tiere töten?
Ist Tiere töten natürlich? • Am Leben sein • Zukunftspläne und Lebenswille • Vom Wert des Lebens • Konsequenzen für unser Handeln • Euthanasie und Paternalismus • Zusammenfassung und mehr
Vor einiger Zeit besuchte mich ein befreundetes Paar aus Hamburg. Naturfreunde, die vernünftiges Schuhwerk tragen, keine Scheu vor meinen Gänsen und Schafen haben, jede Menge Vogelstimmen und Wildpflanzen unterscheiden können und mit anpacken, wenn irgendwo ein Zaun heruntergerissen ist. Als umweltbewusste Grüne kaufen sie biologisch-dynamische Lebensmittel, buchen keine Kurzstreckenflüge und wechseln nicht jedes Jahr das Handy.
Allerdings essen sie Fleisch. Bereits das kann verblüffen: wenn Menschen, die ansonsten sehr auf ihren Energie- und Wasserverbrauch achten, Fleisch essen, obwohl dessen Produktion doch viel mehr Energie verbraucht als zum Beispiel Autofahren.[ 1 ] Und mehr Wasser als Duschen: Für die Herstellung eines Kilos Rindfleisch wird ein durchschnittlicher Wasserverbrauch von 15.000 Litern angegeben[ 2 ] – so lange kann man mit normaler menschlicher Haut ja niemals duschen! Allerdings stellt sich da gleich eine andere Frage: Ist es überhaupt richtig, bei Fleisch, das ja wächst und lebt, von «Produktion» und «Herstellung» zu sprechen, wie ich es gerade getan habe – als ob es sich um unbelebte Ware handelte, die auf dem Fließband liegt und nichts empfindet?
Wir saßen also auf meiner Terrasse, und die Freunde erzählten von ihrem Sommerurlaub, einer Reise nach Oregon. Dort waren sie an einem Fluss entlang gewandert und einemalten Mann begegnet, der angelte. Er hatte einen großen Fisch am Haken. Der Fisch riss an der Leine, der alte Mann seinerseits an der Angel; dabei schwankte er bedenklich. Es sah fast so aus, als ob ihn der Fisch ins Wasser und in die nicht unbeträchtlichen Stromschnellen ziehen würde. Meine Freunde fürchteten schon um das Leben des Alten. «Das war das erste Mal in meinem Leben überhaupt, dass ich ein Duell zwischen einem Menschen und der Natur gesehen habe», sagte meine Freundin. «Es war ein Kampf auf Leben und Tod.»
Wir begannen zu diskutieren, ob diese Formulierung passte. Hatte der Fisch den Mann etwa angegriffen, wollte oder konnte der Fisch den Mann schädigen? Keineswegs. Der alte Mann brachte den Fisch in Lebensgefahr, nicht umgekehrt; und während der Fisch an der Angel hing, hätte der Angler selbst nur die Angel loslassen müssen und wäre in Sicherheit gewesen. Was den Angler in Gefahr brachte, war nicht der Fisch, nicht einmal der Fluss, sondern allein die eigene Sturheit. Dagegen schwamm der Fisch einfach nur in seinem normalen Lebensraum herum, bis er auf einen tödlichen Köder hereinfiel. Und in dem vermeintlichen «Kampf auf Leben und Tod», der dem Fisch aufgedrängt wurde, herrschte keineswegs Waffengleichheit: hier zahnloses Maul, dort Hightech von der Rute bis zum Köder. War das also überhaupt eine «Natur-Szene», und spielte sich hier etwas Bewegendes, fast Erhabenes ab – oder einfach nur etwas Grausames?
In der Art, wie diese Freunde die Angelszene erlebten, zeigt sich eine typische Ambiguität, mit der wir modernen, städtisch geprägten Menschen uns dem Tod gegenüber verhalten. Dass sich der Tod unter den Lebenden keine Freunde macht, ist klar. Verständlicherweise fürchten wir ihn und verbannen ihn daher so weit wie möglich aus unserem Leben und aus unserem Blickfeld. Auch den Tod von Tieren wollen wir eigentlich nicht von Nahem sehen: Nicht grundlos habensich Schlachthöfe immer weiter von den Städten entfernt. Auch will niemand genau mitbekommen, wie städtische Angestellte Tauben, Kaninchen und kleine Nagetiere dezimieren. Wenn wir es am Ende einer Krankheit oder eines langen Lebens dennoch nicht vermeiden können, dem eigenen oder fremden (menschlichen) Tod zu begegnen, nehmen wir ihn zumeist als ein außergewöhnliches Ereignis wahr, als eine Katastrophe oder zumindest als einen Fehler im Getriebe.
Gleichzeitig neigen wir dazu, den Tod zu
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