Artgerecht ist nur die Freiheit: Eine Ethik für Tiere oder Warum wir umdenken müssen (Beck'sche Reihe / Beck Paperback) (German Edition)
Erde», «der Lebensraum» o.ä. direkt fassbare moralische Entitäten wären). Dabei kollidieren unsere Ansprüche nicht nur mit denen anderer Spezies, sondern auch mit denen künftiger Generationen, und das ist eine zweite Fachrichtung der Ethik, die hier befragt werden müsste: die Ethik, die sich mit den Rechten künftiger Generationen befasst. Auch bei ihnen wissen wir nicht, wie viele sie sein werden, wie sie leben wollen, was sie benötigen werden; dennoch dürfen wir die Erde und ihre Ressourcen nicht einfach komplett verbrauchen oder verderben, denn das wäre den (unbekannten, noch nicht existenten) Bewohnern der Zukunft gegenüber ungerecht. Die darauf spezialisierten Ethiken müssten daher mehr zu der Frage, wie viel Rücksicht wir unbestimmten/unbekannten anderen «schulden», beizutragen haben als die Tierethik, die ich bisher vorgestellt habe und die, sozusagen klassisch moralphilosophisch, den Rechtssubjekten als (bereits existenten) Individuen gilt.
Doch ich will mich nicht drücken, sondern zumindest den Ansatz einer Antwort aus meiner tierethischen Sicht versuchen. Zunächst einmal: Auch wir Menschen sind schließlich Tiere, biologische Kinder der Evolution, und bestimmte Bedürfnisse und Lebensweisen sind in uns angelegt. So unterschiedlich menschliche Lebensweisen weltweit auch sind, sie zeichnen sich dadurch aus, dass bei uns jeder biologische Akt kulturell überformt ist. Mehr als alle anderen Spezies sind wir das kulturelle Tier schlechthin, und das heißt, dass wir zumeist besonders aufwändige Lebensweisen pflegen.
Gewiss, es gibt auch menschliche Bevölkerungen, die weitgehend ohne Hightech und sonstige moderne Warenwelt leben und dabei anscheinend kein bisschen unzufriedener sind als wir Bewohner der Industrieländer. Aber die meisten von uns sieben Milliarden Menschen stellen unglaublich anspruchsvolle Erwartungen an ihre Nahrung, ihre Umgebung, ihre Behausung, ihre Kleidung. In der Folge haben wir zumeist einen deutlich größeren Ressourcenverbrauch als die Angehörigen anderer Spezies. Außerdem besitzen wir natürlich enorme kognitive und dadurch technische Mittel, um Ressourcen zu gewinnen und einzusetzen, Landschaften zu verändern etc. Auch Ameisen und Biber gestalten das Antlitz der Erde um, und wenn Regenwürmer Geschichtsbücher schreiben würden, könnten sie darin mit Fug und Recht behaupten, dass ohne sie längst alles den Bach hinuntergegangen wäre. Aber nur wir Menschen bringen zum Beispiel neue Materialien in die Welt (und neben allen mechanischen und chemischen Todesursachen auch eine gänzlich neue Form zu sterben: durch atomare Strahlung). Vieles davon sind Stoffe, mit denen die Umwelt nicht umgehen, die sie nicht abbauen, von denen sie sich nicht erholen kann. Unsere Eingriffe haben eine andere Größenordnung.
All das ist verständlich und ein Stück weit verzeihlich. Zum Beispiel stecken wir Menschen einander gegenseitig mit diesen Vorstellungen und Wünschen an, auch das istmenschlich. Auch unter Tieren ist es übrigens verbreitet, das haben zu wollen, was der andere hat – nur anders als die meisten Tiere haben wir auch weitreichende Mittel dazu. Andere Tierarten haben es ebenfalls gern bequem und wünschen Nahrung im Überfluss, aber ihrer «Gier» sind engere praktische Grenzen gesetzt. Unsere Grenzen erweitern sich täglich.
Dabei benötigen wir viel Raum, Material und Energie: weil wir nicht einfach nur die rohe Frucht von den Bäumen essen, sondern sie auf hunderterlei Weisen zubereiten wollen; weil wir die Dinge nicht nur anschauen, sondern Geschichten über sie erzählen und malen und in Bücher und Filme bannen wollen; weil wir diesen starken gestalterischen Trieb in uns haben, unsere Umgebung, das Haus, den Garten, uns selbst schöner zu machen. Wir sollten uns das mildernd zugutehalten, wenn wir unseren Verbrauch an Ressourcen und Land beurteilen: Wir Menschen sind eine aufwändig lebende Spezies. Wir mögen nicht besser sein als andere Tierarten, aber ich weiß nicht, ob es der Sache dienlich und überhaupt angemessen ist zu sagen, wir seien schlechter. Wir sind nur anders. So wie die anderen übrigens jeweils auch.
Wir können unseren Verstand aber nicht nur einsetzen, um unsere Grenzen zu erweitern, sondern auch, um uns welche zu setzen. Nachdem ich also einiges zugunsten unser aufwändigen Lebensweise vorausgeschickt habe, schicke ich gleich hinterher: So aufwändig wie in den letzten 150 Jahren können und sollten wir auf Dauer nicht leben, im
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