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Arthur & George

Arthur & George

Titel: Arthur & George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Barnes
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Der verwundete Engländer erweist sich als toter Australier: klein, muskulös, mit einem gelben, wächsernen Gesicht. Nr. 410 , New South Wales Mounted Infantry, ein berittener Infanterist ohne Pferd, denn dieses ist ebenso verschwunden wie sein Gewehr. Er ist an einer Bauchverletzung verblutet. Er hat seine Taschenuhr vor sich hingelegt; er muss sich angesehen haben, wie die letzten Minuten seines Lebens vergingen. Die Uhr ist um ein Uhr morgens stehen geblieben. Neben ihm liegt seine leere Wasserflasche, auf der eine Schachfigur aus rotem Elfenbein steht. Die anderen Schachfiguren – wohl eher bei der Plünderung eines Burengehöfts erbeutet, als zum Zeitvertreib eines Soldaten eingepackt – stecken in seinem Tornister. Arthur und seine Begleiter sammeln seine Habe ein: einen Patronengurt, einen Füllfederhalter, ein seidenes Taschentuch, ein Klappmesser, eine Waterbury-Uhr, dazu £ 2 6 s. 6 d. in einer verschlissenen Börse. Die klebrige Leiche wird auf Arthurs Pferd gelegt, und auf dem Zweimeilenritt zum nächsten Telegraphenmast begleitet den Trupp ein Fliegenschwarm. Dort lassen sie Nr. 410 , New South Wales Mounted Infantry, zur Beerdigung zurück.
    Arthur sieht in Südafrika vielerlei Tode, doch diesen wird er nie vergessen. Ein fairer Kampf unter freiem Himmel und eine gerechte Sache – einen besseren Tod kann er sich nicht vorstellen.
    Nach der Rückkehr tragen ihm seine patriotischen Berichte aus dem Krieg den Beifall der höchsten gesellschaftlichen Kreise ein. Es ist das Interregnum zwischen dem Tod der alten Königin und der Krönung des neuen Königs. Er wird zu einem Essen mit dem künftigen Edward VII . eingeladen und bekommt den Platz neben ihm. Man gibt ihm zu verstehen, dass ihm in der Coronation Honours List die Ritterwürde winkt, falls Dr. Conan Doyle geneigt sei, die Ehrung anzunehmen.
    Doch Arthur ist nicht geneigt. Die Ritterwürde ist eine Auszeichnung für einen Provinzbürgermeister. Große Männer nehmen solchen Tand nicht an. Man stelle sich vor, Rhodes oder Kipling oder Chamberlain würden so etwas annehmen. Nicht, dass er sich mit denen auf eine Stufe stellen will; doch warum sollten für ihn andere Maßstäbe gelten als für sie? Die Ritterwürde ist etwas für Leute wie Alfred Austin oder Hall Craine – die würden sie mit Kusshand nehmen, falls sich ihnen je die Chance böte.
    Als die Mama das erfährt, ist sie so ungläubig wie wütend. Wozu denn die ganze Mühe, wenn nicht dafür? Und das ist der Junge, der in ihrer Küche in Edinburgh auf Papptafeln gemalte Wappen blasonierte, dem seine gesamte Ahnenreihe bis hin zu den Plantagenets erklärt wurde. Das ist der Mann, auf dessen Kutsche das Familienwappen prangt, in dessen Eingangshalle seine Vorfahren auf buntem Glas geehrt werden. Das ist der Junge, dem sie die Regeln der Ritterlichkeit beibrachte, und der Mann, der danach lebt, der nach Südafrika zog, weil er das Blut von Kämpfern in den Adern hat – das Blut von Percy und Pack, Doyle und Conan. Wie kann er es wagen, die Ritterwürde des Königsreichs auszuschlagen, wo doch sein ganzes Leben auf dieses Ziel ausgerichtet war?
    Die Mama bombardiert ihn mit Briefen; Arthur hat für jedes ihrer Argumente ein Gegenargument. Er will das Thema nicht weiter diskutieren. Die Briefe hören auf; er sagt, er fühle sich so befreit wie Mafeking. Und dann steht sie plötzlich selbst in Undershaw. Das ganze Haus weiß, warum sie hier ist, diese kleine Matriarchin mit ihrer weißen Haube, noch dominierender, da sie nie die Stimme hebt.
    Die Mama lässt ihn warten. Sie nimmt ihn nicht beiseite und schlägt einen Spaziergang vor. Sie klopft nicht an die Tür seines Arbeitszimmers. Zwei Tage lang lässt sie ihn in Ruhe, wohl wissend, welche Auswirkungen das Warten auf seine Nerven hat. Dann, am Morgen ihrer Abreise, steht sie in der Halle, das Licht strömt durch die gläsernen Wappen herein, die die Foleys von Worcestershire schmachvollerweise übergehen, und stellt eine Frage.
    »Ist dir nicht in den Sinn gekommen, dass die Ablehnung der Ritterwürde eine Beleidigung für den König wäre?«
    »Ich sage dir, ich kann nicht. Aus Prinzip.«
    »Nun«, sagt sie und schaut mit den grauen Augen zu ihm auf, die Jahre und Ruhm von ihm abstreifen. »Wenn du deine Prinzipien mit einer Beleidigung des Königs beweisen willst, dann kannst du tatsächlich nicht.«
    Und so wird Arthur, während das Echo des eine Woche andauernden Krönungsgeläuts noch in der Luft hallt, im Buckingham Palace in einen

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