Arthur & George
wahnsinnig.« Er sagt es ruhig, aber ohne Umschweife, wie ein Mann, der den Wetterbericht verliest. Nach ein paar Schritten reckt sie sich hoch und hakt sich bei ihm ein. Das tut sie sonst nicht, und es überrascht ihn.
»Und wenn ich nicht wahnsinnig werde, dann sterbe ich an einem Schlaganfall. Explodiere wie der Kessel eines Dampfschiffs und versinke mit Mann und Maus in den Wellen.«
Die Mama gibt keine Antwort. Es ist nicht notwendig, seinen Vergleich zurückzuweisen oder auch nur zu fragen, ob er einen Spezialisten für Schmerzen in der Brust aufgesucht hat.
»Wenn ich so einen Anfall habe, zweifle ich an allem. Ich zweifle, ob ich Touie je geliebt habe. Ich zweifle, ob ich meine Kinder liebe. Ich zweifle an meiner schriftstellerischen Begabung. Ich zweifle, ob Jean mich liebt.«
Dies erfordert nun doch eine Antwort. »Du zweifelst nicht daran, dass du sie liebst?«
»Nein, daran nie. Daran nie. Und das macht es nur noch schlimmer. Wenn ich daran zweifeln könnte, dann könnte ich an allem zweifeln und glücklich im Elend versinken. Nein, das ist immer da, es hält mich in seinen Monsterklauen gefangen.«
»Jean liebt dich, Arthur. Dessen bin ich mir ganz sicher. Ich kenne sie. Und ich habe ihre Briefe gelesen, die du mir schickst.«
»Ich denke das auch. Ich glaube es. Aber wie kann ich es wissen? Das ist die Frage, die mich zerfleischt, wenn mich diese Stimmung überfällt. Ich denke es, ich glaube es, doch wie kann ich es je wissen? Wenn ich es nur beweisen könnte, wenn einer von uns es beweisen könnte.«
Sie bleiben an einem Gatter stehen und schauen über einen buschigen Hang auf das Dach und die Schornsteine von Masongill hinunter.
»Aber du bist dir deiner Liebe zu ihr sicher, genau wie sie sich ihrer Liebe zu dir sicher ist?«
»Ja, aber das ist einseitig, das ist kein Wissen, das ist kein Beweis.«
»Frauen beweisen ihre Liebe oft auf eine Art, wie sie schon vielmals ausgeübt wurde.«
Arthur schaut zu seiner Mutter hinunter, doch sie blickt starr geradeaus. Er sieht nichts als den geschwungenen Rand der Haube und ihre Nasenspitze.
»Aber das ist auch kein Beweis. Das zeigt nur, dass man verzweifelt nach Beweisen sucht. Würde ich Jean zu meiner Geliebten machen, wäre das kein Beweis, dass wir einander lieben.«
»Da stimme ich dir zu.«
»Es könnte im Gegenteil beweisen, dass wir in unserer Liebe nachlassen. Manchmal kommt es mir vor, als lägen Ehre und Schande ganz nahe beieinander, näher, als ich je gedacht hätte.«
»Ich habe dich nie gelehrt, dass Ehre ein leichter Pfad ist. Was wäre sie denn dann wert? Und vielleicht kann es überhaupt keinen Beweis geben. Vielleicht ist Denken und Glauben das Äußerste, wozu wir fähig sind. Vielleicht können wir erst im Jenseits wahrhaft wissen.«
»Beweise werden normalerweise durch Handlungen erbracht. Das Einmalige und Entsetzliche unserer Situation ist, dass der Beweis im Unterlassen besteht. Unsere Liebe ist etwas Isoliertes, von der Welt Abgetrenntes, der Welt Unbekanntes. Sie ist unsichtbar, für die Welt nicht greifbar, doch für mich, für uns, ist sie äußerst sichtbar, äußerst greifbar. Vielleicht existiert sie nicht in einem Vakuum, doch sie existiert in einem Raum mit einer anderen Atmosphäre: ob leichter oder schwerer, kann ich nie recht bestimmen. Und irgendwo außerhalb der Zeit. Das war immer so, von Anfang an. Das haben wir sofort erkannt. Dass wir diese seltene Liebe haben, die mich – uns – allein aufrechterhält.«
»Und dennoch?«
»Und dennoch. Ich wage den Gedanken kaum auszusprechen. Er kommt mir in den Sinn, wenn ich am Tiefpunkt angelangt bin. Dann frage ich mich … dann frage ich mich: Und wenn unsere Liebe gar nicht so ist, wie ich denke, wenn sie gar nicht außerhalb der Zeit existiert? Wenn alles, was ich glaube, falsch ist? Wenn sie ganz und gar nichts Besonderes ist oder nur darum besonders, weil sie nicht öffentlich bekannt gegeben und nicht … vollzogen ist? Und was ist, wenn … wenn Touie stirbt, und Jean und ich sind frei, und unsere Liebe kann endlich bekannt gegeben und vor aller Welt gelebt werden und den Segen der Kirche erhalten, und dann entdecke ich, dass die Zeit still und leise und von mir unbemerkt ihr Werk getan hat, ihr nagendes, zersetzendes, zerstörerisches Werk? Und wenn ich dann entdecke – wenn wir dann entdecken –, dass ich sie nicht so liebe, wie ich dachte, oder sie mich nicht so liebt, wie sie dachte? Was wäre dann zu tun? Was?«
Darauf gibt die Mama
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