Arthur & George
mit einer Samtkordel abgetrennten Bereich getrieben. Nach der Zeremonie sitzt er neben Professor – nunmehr Sir – Oliver Lodge. Sie könnten über elektromagnetische Strahlung diskutieren oder über die relative Bewegung von Materie und Äther oder auch über ihre gemeinsame Bewunderung für den neuen Monarchen. Stattdessen sprechen die beiden frischgebackenen Edwardianischen Ritter über Telepathie, Telekinese und die Verlässlichkeit spiritistischer Medien. Sir Oliver ist überzeugt, dass das Physische und das Psychische so nahe verwandt sind, wie es die gemeinsamen Buchstaben der beiden Worte nahelegen. Ja, er ist vor kurzem als Präsident der Physical Society zurückgetreten und nunmehr Präsident der Psychical Society.
Sie erörtern die jeweiligen Verdienste von Mrs Piper und Eusapia Paladino und überlegen, ob Florence Cook mehr ist als nur eine geschickte Betrügerin. Lodge schildert die Sitzungen in Cambridge, an denen er teilnahm und wo die Paladino unter strengsten Bedingungen in neunzehn Séancen hintereinander auf Herz und Nieren geprüft wurde. Er hat gesehen, wie sie ektoplasmische Formen hervorbrachte und wie Gitarren durch die Luft schwebten und dabei von selbst spielten. Er hat zugeschaut, wie ein Krug mit Narzissen von einem Tisch am anderen Ende des Zimmers fortgetragen und ohne jede erkennbare Unterstützung einem Teilnehmer nach dem anderen unter die Nase gehalten wurde.
»Wenn ich den Advocatus Diaboli spielen wollte, Sir Oliver, und sagte, dass sich Zauberkünstler erboten haben, die Darbietungen der Paladino nachzuahmen, und es in einigen Fällen auch geschafft haben – was würden Sie mir antworten?«
»Ich würde antworten, es sei in der Tat möglich, dass die Paladino gelegentlich Tricks anwendet. Es kommt zum Beispiel vor, dass die Erwartungen der Teilnehmer hoch sind und die Geister sich nicht zeigen wollen. Die Versuchung liegt auf der Hand. Doch das bedeutet nicht, dass die Geister, die durch die Paladino hindurchziehen, nicht wahr und echt sind.« Er schweigt kurz. »Wissen Sie, was die Spötter sagen, Doyle? Sie sagen: Vom Studium des Protoplasmas zum Studium des Ektoplasmas. Und ich antworte: Denkt nur an all jene, die einst nicht an das Protoplasma glauben wollten.«
Arthur lacht in sich hinein. »Und darf ich fragen, wo Sie zurzeit stehen?«
»Wo ich stehe? Ich forsche und experimentiere jetzt seit beinahe zwanzig Jahren. Es gibt immer noch viel zu tun. Doch meine bisherigen Erkenntnisse legen den Schluss nahe, dass es mehr als möglich – ja, wahrscheinlich – ist, dass der Geist den physischen Zerfall des Körpers überlebt.«
»Sie machen mir viel Hoffnung.«
»Vielleicht können wir bald beweisen«, fährt Lodge mit verschwörerischem Augenzwinkern fort, »dass nicht nur Mr Sherlock Holmes einem offenkundigen und augenfälligen Tod entrinnen kann.«
Arthur lächelt höflich. Dieser Holmes wird ihn noch bis zu Petrus ans Himmelstor verfolgen oder was immer in dem neuen Reich, das sich hier abzuzeichnen beginnt, an seine Stelle treten wird.
Es gibt wenig Müßiggang in Arthurs Leben. Er ist kein Mensch, der sich an einem Sommernachmittag in den Liegestuhl legt, sich den Hut vors Gesicht zieht und lauscht, wie die Hummeln über die Lupinen herfallen. Als Pflegefall wäre er unmöglich, während Touie diese Rolle glänzend meistert. Seine Abneigung gegen jede Untätigkeit ist weniger moralisch begründet – seiner Ansicht nach verrichten müßige wie rührige Hände des Teufels Werk – als durch seine Veranlagung bedingt. Bei ihm folgen auf heftige Anfälle geistiger Tätigkeit oft heftige Anfälle körperlicher Aktivität; Geselligkeit und Familienleben werden dazwischengeschoben und auf die Schnelle erledigt. Selbst der Schlaf ist für ihn eher ein Teil der Lebensarbeit als eine Pause davon.
Daher stehen ihm nur wenige Mittel zur Verfügung, als die Maschine überlastet ist. Er kann sich nicht in zwei Wochen des Nichtstuns an den italienischen Seen oder auch nur bei ein paar Tagen Gartenarbeit erholen. Stattdessen verfällt er in depressive Stimmungen und Erschöpfungszustände, die er vor Touie und Jean zu verbergen versucht. Nur die Mama weiht er ein.
Sie vermutet gleich, dass ihn mehr als gewöhnlich bedrückt, als er sie um seinetwillen besuchen will und nicht, um sich mit Jean zu treffen. Arthur nimmt den Zug um 10 Uhr 40 von St. Pancras nach Leeds. Im Speisewagen muss er wieder an seinen Vater denken, wie das nun immer häufiger geschieht. Er sieht jetzt,
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