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Arthur & George

Arthur & George

Titel: Arthur & George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Barnes
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gibt Betrug und Gaunerei, sogar regelrecht kriminelle Verhaltensweisen. Es gibt ein paar äußerst fragwürdige Gestalten, die hier im Trüben fischen. Auch weibliche Gestalten, wie ich leider hinzufügen muss.«
    »Dann kennst du jetzt meine Meinung.«
    »Und der Spiritismus wird überhaupt nicht gut erklärt. Manchmal denke ich, die Welt teilt sich in Menschen, die übersinnliche Erfahrungen gemacht haben, aber nicht schreiben können, und Menschen, die schreiben können, aber keine übersinnlichen Erfahrungen haben.«
    Connie gibt keine Antwort. Der logische Schluss aus diesem Satz gefällt ihr nicht; und er sitzt ihr gegenüber und lässt seinen Tee kalt werden.
    »Aber ich sagte ›vieles davon‹, Connie. Nur ›vieles davon‹ ist Betrug. Wenn du in eine Goldmine gehst, ist sie dann voller Gold? Nein. Vieles davon – das meiste davon – ist unedles, von Gestein umschlossenes Metall. Nach dem Gold muss man suchen.«
    »Ich bin misstrauisch gegenüber Metaphern, Arthur.«
    »Ich auch. Ich auch. Darum misstraue ich auch der Religion, denn sie ist die größte Metapher überhaupt. Mit der Religion habe ich abgeschlossen. Ich kann nur mit dem klaren, weißen Licht des Wissens arbeiten.«
    Jetzt ist Connie verblüfft.
    »Der Sinn und Zweck übersinnlicher Forschung«, erläutert er, »besteht darin, Schwindel und Betrug zu entlarven und auszuschalten. Damit nur das übrig bleibt, was sich wissenschaftlich beweisen lässt. Wenn man das Unmögliche ausschließt, dann muss das, was übrig bleibt, die Wahrheit sein, auch wenn es noch so unwahrscheinlich ist. Der Spiritismus will nicht, dass du einen Sprung ins Ungewisse machst oder den zweiten Schritt vor dem ersten tust.«
    »Dann ist Spiritismus so etwas wie Theosophie?« Jetzt nähert sich Connie der äußersten Grenze ihres Wissens.
    »Nein, die Theosophie ist letzten Endes auch nur eine Religion. Und wie gesagt, mit der Religion habe ich abgeschlossen.«
    »Mit Himmel und Hölle auch?«
    »Weißt du noch, was die Mama uns beigebracht hat – ›Trage Flanell auf der Haut und glaube nicht an ewige Strafe‹.«
    »Demnach kommen alle in den Himmel? Sünder wie Gerechte? Welchen Ansporn …«
    Arthur fällt ihr ins Wort. Er kommt sich vor wie früher, als er über den Tolley disputierte. »Unsere Seele hat nach unserem Hinscheiden nicht zwangsläufig Frieden gefunden.«
    »Und Gott und Jesus? An die glaubst du auch nicht?«
    »Doch, natürlich. Aber nicht an den Gott und den Jesus, die eine seit Jahrhunderten geistig wie intellektuell korrupte Kirche für sich in Anspruch nimmt. Eine Kirche, die von ihren Anhängern verlangt, dass sie ihre Denkfähigkeit aufgeben.«
    Nun wird Connie allmählich verwirrt, und sie überlegt auch, ob sie nicht gekränkt sein sollte. »Und an was für einen Jesus glaubst du?«
    »Wenn du dir anschaust, was tatsächlich in der Bibel steht, wenn du darüber hinwegsiehst, wie der Text verändert und fehlinterpretiert wurde, damit er den Vorstellungen der Staatskirchen entsprach, dann ist offensichtlich, dass Jesus ein sehr gut ausgebildetes Medium war. Der innere Kreis der Apostel, vor allem Petrus, Jakobus und Johannes, wurde eindeutig seiner spiritistischen Fähigkeiten wegen auserwählt. Die ›Wunder‹ der Bibel sind lediglich – nein, nicht lediglich, sondern nichts als – Beispiele für Jesus’ übersinnliche Kräfte.«
    »Die Auferweckung des Lazarus? Die Speisung der Fünftausend?«
    »Es gibt medizinische Medien, die behaupten, sie könnten durch die Körperwände hindurchsehen. Es gibt Apportmedien, die behaupten, sie könnten Gegenstände durch Zeit und Raum bewegen. Und Pfingsten, als der Heilige Geist herabgesandt wurde und alle in Zungen redeten. Was ist das anderes als eine Séance? Es ist die präziseste Beschreibung einer Séance, die ich je gelesen habe!«
    »Dann bist du wohl ein Frühchrist geworden, Arthur?«
    »Und Johanna von Orleans, natürlich. Sie war eindeutig ein großes Medium.«
    »Die auch?«
    Er hat den Verdacht, dass sie sich jetzt über ihn lustig macht – das sähe ihr ähnlich; und das macht es ihm leichter, nicht schwerer, alles zu erklären.
    »Denk doch mal so, Connie. Stell dir vor, es sind hundert Medien im Einsatz. Stell dir vor, neunundneunzig davon sind Betrüger. Das bedeutet doch, dass eins davon echt ist, nicht wahr? Und wenn eins echt ist, und die von diesem Medium vermittelten übersinnlichen Erscheinungen sind authentisch, dann haben wir den Beweis. Was wir einmal bewiesen haben, ist

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