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Arthur & George

Arthur & George

Titel: Arthur & George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Barnes
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ganz klare Vorstellung von den Verpflichtungen eines Schriftstellers: Er hat erstens verständlich, zweitens interessant und drittens intelligent zu sein. Er kennt seine Fähigkeiten, und er weiß auch, dass der Leser letzten Endes König ist. Darum wurde Mr Sherlock Holmes wieder zum Leben erweckt, durfte dank seiner Kenntnis esoterischer japanischer Ringergriffe und der Fähigkeit, an steil abfallenden Felswänden hinaufzuklettern, aus den Reichenbachfällen entkommen. Wenn die Amerikaner unbedingt fünftausend Dollar für eine Hand voll neuer Geschichten bieten wollen – und das nur für die amerikanischen Rechte –, was bleibt Dr. Conan Doyle dann anderes übrig, als die Waffen zu strecken und sich auf absehbare Zeit an den beratenden Detektiv fesseln zu lassen? Der Bursche hat ihm ja noch andere Belohnungen eingetragen: Die University of Edinburgh hat Conan Doyle zum Dr. phil. honoris causa ernannt. Vielleicht wird er nie so eine Größe wie Kipling, doch als er in der Prozession durch seine Geburtsstadt zog, fühlte er sich in seinem akademischen Talar wohl; wohler, wie er zugeben muss, als in dem kuriosen Gewand eines Deputy Lieutenant of Surrey.
    Und dann gibt es noch sein viertes Leben, in dem er weder Arthur noch Sir Arthur noch Dr. Conan Doyle ist; das Leben, in dem ein Name keine Bedeutung hat, so wenig wie Reichtum und Rang und äußerliche Erscheinung und die Schale des Körpers: die Geisteswelt. Das Gefühl, für etwas anderes geboren zu sein, wächst mit jedem Jahr. Es ist nicht leicht; es wird nie leicht sein. Das ist nicht so, als würde man einer der etablierten Religionen beitreten. Es ist neu und gefährlich und immens wichtig. Wenn jemand Hindu werden wollte, würde die Gesellschaft ihn für verschroben halten, aber nicht für geistesgestört. Wer aber bereit ist, sich der Welt des Spiritismus zu öffnen, der muss auch bereit sein, die Späße und billigen Paradoxien zu ertragen, mit denen die Presse die Öffentlichkeit irreführt. Doch was sind diese Spötter und Zyniker und Schreiberlinge schon im Vergleich zu Crookes und Myers und Lodge und Alfred Russel Wallace?
    Die Wissenschaft weist den Weg, und die Spötter müssen am Ende zu Kreuze kriechen, das war immer so. Denn wer hätte schon an Radiowellen geglaubt? Wer hätte an Röntgenstrahlen geglaubt? Wer hätte an Argon und Helium und Neon und Xenon geglaubt? Das wurde alles in den letzten Jahren entdeckt. Das Unsichtbare und Ungreifbare, das gleich unter der Oberfläche des Realen liegt, gleich unter der Haut der Dinge, wird zusehends sichtbarer und greifbarer gemacht. Die Welt und ihre halb blinden Bewohner lernen endlich sehen.
    Nehmen wir Crookes, zum Beispiel. Was sagt Crookes? »Es ist unglaublich, aber es ist wahr.« Der Mann, dessen Werke auf dem Gebiet der Physik und Chemie allseits für ihre Präzision und Wahrheit bewundert werden. Der Entdecker des Thalliums, der Jahre mit der Erforschung der Eigenschaften verdünnter Gase und seltener Erden verbrachte. Wer könnte sich besser zu dieser ebenso verdünnten Welt äußern, diesem neuen Territorium, zu dem dumpfere Köpfe und beschränktere Geister keinen Zugang finden? Es ist unglaublich, aber es ist wahr.
    Und dann stirbt Touie. Es ist dreizehn Jahre her, dass sie erkrankte, neun, dass er Jean kennenlernte. Nun, im Frühjahr 1906 , fällt sie in ein leichtes Delirium. Sir Douglas Powell ist sofort zur Stelle, blasser und kahler geworden, doch noch immer ein äußerst eleganter Todesbote. Dieses Mal gibt es keine Aussicht auf eine Gnadenfrist, und Arthur muss sich für das längst Vorhergesagte wappnen. Die Wacht beginnt. Die polternde Einschienenbahn von Undershaw wird zum Schweigen gebracht, der Schießstand gesperrt, das Tennisnetz bis auf weiteres eingeholt. Touie bleibt schmerzfrei und unbeschwert, während die Frühlingsblumen in ihrem Zimmer denen des Frühsommers weichen. Nach und nach werden die Deliriumphasen länger. Der Tuberkel hat ihr Gehirn angegriffen; die linke Körperhälfte und das halbe Gesicht sind teilweise gelähmt. Die Nachfolge Christi bleibt ungeöffnet; Arthur ist ständig bei ihr.
    Gegen Ende erkennt sie ihn. Sie sagt »Du Guter« und »Danke, mein Lieber«, und wenn er sie im Bett aufrichtet, murmelt sie »So ist’s recht«. Als der Juni in den Juli übergeht, liegt sie erkennbar im Sterben. An dem Tag selbst ist Arthur an ihrer Seite; Mary und Kingsley sehen betreten und ängstlich zu, halb verlegen wegen des gelähmten Gesichts ihrer Mutter. Sie

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