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Arthur & George

Arthur & George

Titel: Arthur & George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Barnes
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klugerweise keine Antwort.
    Arthur vertraut der Mama alles an: seine größten Ängste, seine höchsten Gefühle und alle dazwischenliegenden Freuden und Leiden der materiellen Welt. Was er nie auch nur andeuten kann, ist sein zunehmendes Interesse am Spiritualismus oder Spiritismus, wie er lieber sagt. Die Mama hat das katholische Edinburgh hinter sich gelassen und ist durch bloßen Gottesdienstbesuch Mitglied der Kirche von England geworden. Drei ihrer Kinder wurden nun schon in St. Oswald’s getraut: Arthur selbst, Ida und Dodo. Sie hat eine instinktive Abneigung gegen die übersinnliche Welt, die in ihren Augen für Anarchie und Mummenschanz steht. Sie ist der Überzeugung, der Mensch könne sein Leben nur dann begreifen, wenn die Gesellschaft ihm ihre Wahrheiten klarmacht; und die religiösen Wahrheiten der Gesellschaft müssten von einer anerkannten Institution, ob katholisch oder anglikanisch, verkündet werden. Außerdem muss man auch an die Familie denken. Arthur ist Ritter des Königreichs; er hat mit dem König geluncht und diniert; er ist eine Person des öffentlichen Lebens – die Mama hält ihm seine prahlerische Bemerkung vor Augen, nur Kipling habe größeren Einfluss auf die gesunden, sportlichen jungen Männer des Landes als er. Wenn nun herauskäme, dass er an Séancen und dergleichen teilnimmt? Dann wäre jede Hoffnung auf den höheren Adel dahin.
    Vergebens versucht er, von seiner Unterhaltung mit Sir Oliver Lodge im Buckingham Palace zu berichten. Die Mama muss doch sicher zugeben, dass Lodge ein vollkommen vernünftiger und in der Wissenschaft angesehener Mensch ist, was schon die Tatsache beweist, dass er soeben zum ersten Rektor der Birmingham University ernannt wurde. Doch die Mama gibt gar nichts zu; auf diesem Gebiet verweigert sie ihrem Sohn eisern jedes Entgegenkommen.
    Arthur fürchtet sich, Touie gegenüber dieses Thema anzuschneiden, da es die unnatürliche Ruhe ihres Lebens stören könnte. Sie hat, wie er weiß, in Glaubenssachen ein schlichtes Vertrauen. Sie nimmt an, sie werde nach ihrem Tod in einen Himmel kommen, dessen genaue Beschaffenheit sie nicht beschreiben kann, und dann dort in einem Zustand verbleiben, den sie sich nicht vorstellen kann, bis Arthur ihr nachfolgt und zu gegebener Zeit auch ihre Kinder, worauf sie alle miteinander in einer besseren Version von Southsea wohnen werden. Arthur hält es für unfair, diese Annahmen ins Wanken zu bringen.
    Noch härter kommt ihn an, dass er nicht mit Jean reden kann, mit der er alles teilen will, vom letzten Kragenknopf bis zum letzten Semikolon. Er hat es versucht, doch Jean steht allem, das auch nur annähernd die übersinnliche Welt betrifft, misstrauisch – oder vielleicht auch ängstlich – gegenüber. Obendrein drückt sich ihre Abneigung auf eine Art aus, die für Arthur gar nicht zu ihrem liebevollen Wesen passt.
    Einmal versucht er, zögernd und bewusst unterkühlt, von seinen Erlebnissen auf einer Séance zu berichten. Beinahe sofort nimmt er den Ausdruck schärfster Missbilligung auf ihren liebreizenden Zügen wahr.
    »Was hast du, mein Liebling?«
    »Aber Arthur«, sagt sie, »das sind so gewöhnliche Menschen.«
    »Wer?«
    »Diese Leute. Wie Zigeunerinnen, die in Jahrmarktsbuden sitzen und aus Karten und Teeblättern wahrsagen. Sie sind einfach … ordinär.«
    Arthur kann einen solchen Snobismus, zumal bei einem geliebten Menschen, nicht hinnehmen. Er möchte sagen, dass eben die großartige untere Mittelklasse seit jeher die geistige Aristokratie der Nation darstellt: Man denke nur an die Puritaner, die natürlich von vielen verachtet wurden. Er möchte sagen, dass es an den Ufern des Sees Genezareth zweifellos viele gab, die unseren Herrn Jesus Christus für ein wenig gewöhnlich hielten. Die Apostel hatten, wie die meisten Medien, wenig schulische Bildung. Natürlich sagt er nichts dergleichen. Er schämt sich seiner plötzlichen Verärgerung und wechselt das Thema.
    Und so muss er aus seinem eisernen Dreieck heraustreten. An Lottie wendet er sich nicht: Er will ihre Liebe auf keinen Fall aufs Spiel setzen, zumal sie bei Touies Pflege hilft. Stattdessen geht er zu Connie. Connie, der noch vor kurzem, wie ihm scheint, das Haar wie das Ankertau eines Schlachtschiffs bis auf den Rücken fiel und die auf dem gesamten europäischen Kontinent die Herzen der Männer brach; Connie, die sich allzu fest in ihrer Rolle als Mutter in Kensington eingerichtet hat; Connie, die es noch dazu wagte, ihm damals auf dem

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