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Arthur & George

Arthur & George

Titel: Arthur & George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Barnes
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erträgt. Neun Jahre lang hat er Touie vor dem Wissen um Jeans Existenz bewahrt, hat sich neun Jahre bemüht, ihr nie einen unglücklichen Augenblick zu bereiten. Aber vielleicht sind diese beiden Wünsche unvereinbar, waren es immer. Er gibt bereitwillig zu, dass er sich bei Frauen nicht auskennt. Weiß eine Frau es, wenn man sie liebt? Er denkt es, er glaubt es, er weiß es, denn Jean hatte es erkannt, damals in jenem sonnenbeschienenen Garten, noch ehe er sich selbst dessen bewusst war. Und wenn das stimmt, weiß eine Frau dann auch, wenn man sie nicht mehr liebt? Und weiß eine Frau auch, wenn man eine andere liebt? Neun Jahre zuvor hatte er einen sorgfältigen Plan ersonnen, um Touie zu schützen, und dieser Plan hatte alle Menschen in ihrer Umgebung eingeschlossen; aber vielleicht war das letzten Endes nur ein Komplott, um sich selbst und Jean zu schützen. Vielleicht war es durch und durch selbstsüchtig, und Touie hatte den Betrug durchschaut; vielleicht wusste sie die ganze Zeit Bescheid. Mary kann die ganze Tragweite von Touies Bemerkung über eine Wiederheirat unmöglich ahnen, doch Arthur wird sie jetzt klar. Vielleicht wusste Touie von Anfang an Bescheid, sah sich vom Krankenbett aus Arthurs erbärmliche Neuordnung der Wahrheit an, verstand jede schäbige kleine Lüge, die ihr Gatte ihr auftischte, und lächelte darüber, malte sich aus, wie er unten an der Treppe stand und in das Ehebrechertelephon sprach. In ihrer Hilflosigkeit hätte sie nichts dagegen tun können, denn sie war ihm ja keine Gattin mehr im vollsten Sinn des Wortes. Und wenn sie – nun werden seine Mutmaßungen noch düsterer –, wenn sie von Anfang an um Jeans Bedeutung wusste und sich Weiteres zusammenreimte? Wenn sie sich genötigt sah, Jean in Undershaw willkommen zu heißen, und sie zugleich für Arthurs Geliebte hielt?
    Arthurs Phantasie ist ebenso stark wie unbarmherzig, und sie lässt nicht locker. Sein Gespräch mit Mary hat mehr Weiterungen, als er zunächst dachte. Touies Tod, das wird ihm nun klar, wird seinen Betrügereien kein Ende setzen. Denn Mary darf nie erfahren, dass er Jean schon seit neun langen Jahren liebt. Und Kingsley auch nicht. Jungen, so heißt es, verwinden den Verrat an ihrer Mutter oft noch schwerer als Mädchen.
    Er stellt sich vor, wie er den richtigen Moment abpasst, die Worte übt, sich dann räuspert und versucht, es so klingen zu lassen – wie? –, als könnte er selbst kaum glauben, was er jetzt sagen will.
    »Meine liebe Mary, du weißt doch, was deine Mutter gesagt hat, ehe sie starb? Dass es möglich sei, dass ich eines Tages wieder heirate. Nun, ich muss dir mitteilen, dass sie zu meiner eigenen beträchtlichen Überraschung Recht behält.«
    Wird er Worte wie diese sagen? Und wenn ja, wann? Noch ehe das Jahr um ist? Nein, natürlich nicht. Aber im nächsten Jahr, dem übernächsten? Wie bald darf der trauernde Witwer sich wieder verlieben? Er kennt die Einstellung der Gesellschaft in dieser Frage, doch wie denken Kinder darüber – und insbesondere seine Kinder?
    Und dann stellt er sich Marys Fragen vor. Wer ist es denn, Vater? Ach, Miss Leckie. Die kenne ich schon, seit ich ganz klein war, nicht wahr? Und dann sind wir ihr zufällig immer wieder begegnet. Und dann kam sie immer häufiger zu uns nach Undershaw. Ich hatte immer gedacht, sie sei inzwischen verheiratet. Hast du ein Glück, dass sie noch frei ist. Wie alt ist sie? Einunddreißig? Dann ist sie wohl eine alte Jungfer, Papa? Es wundert mich, dass keiner sie haben wollte. Und wann hast du gemerkt, dass du sie liebst, Vater?
    Mary ist kein Kind mehr. Sie traut ihrem Vater vielleicht keine Lüge zu, aber sie wird auch die kleinste Ungereimtheit in seiner Geschichte entdecken. Und wenn er nun einen Schnitzer macht? Arthur verachtet alle Männer, die gute Lügner sind, die ihr Gefühlsleben – ja, sogar ihre Ehe – nach dem Prinzip organisieren, wie viel sie sich erlauben können, die hier eine Halbwahrheit, dort eine ganze Lüge erzählen. Arthur hat seinen Kindern immer eingebläut, wie wichtig es ist, die Wahrheit zu sagen; nun muss er den reinsten Heuchler spielen. Er muss lächeln und zurückhaltende Freude zeigen und überrascht tun und sich ein Lügenmärchen darüber ausdenken, wie er sich in Jean Leckie verliebt hat, und diese Lüge muss er seinen eigenen Kindern auftischen und sie dann für den Rest seines Lebens aufrechterhalten. Und er muss andere auffordern, seinetwegen dasselbe zu tun.
    Jean. Schicklicherweise ist sie

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