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Arthur & George

Arthur & George

Titel: Arthur & George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Barnes
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nennen, ist nicht nur meine Ansicht, sondern auch die der Staffordshire Constabulary, der Anklagevertretung, der ordnungsgemäß vereidigten englischen Geschworenen und der Richter der Quarter Sessions. Ich habe dem Prozess tagtäglich beigewohnt und kann Ihnen eins versichern, das für Sie schmerzlich sein wird, woran aber kein Weg vorbeiführt. Die Geschworenen haben den Aussagen der Familie Edalji nicht geglaubt – ganz sicher nicht denen des Vaters und der Tochter. Die Aussagen der Mutter waren vielleicht weniger bedeutsam. So etwas geschieht nicht leichthin. Wenn englische Geschworene um einen Tisch herumsitzen und über ihren Urteilsspruch beraten, dann ist das eine gewichtige Angelegenheit. Sie wägen die Beweismittel ab. Sie machen sich ein Bild von der Persönlichkeit. Sie sitzen nicht da und warten auf ein Zeichen von oben wie … Tischrücker bei einer Séance.«
    Doyle sah ihn scharf an. War das nur eine Redensart oder ein bewusster Versuch, ihn aus der Fassung zu bringen? Nun, dazu würde mehr gehören.
    »Anson, wir reden hier nicht über irgendeinen Schlachtersburschen, sondern über einen hochgebildeten Engländer, einen Solicitor Ende zwanzig, der sich bereits als Autor eines Buchs über das Eisenbahnrecht einen Namen gemacht hat.«
    »Dann wiegt sein Vergehen umso schwerer. Wenn Sie meinen, die Strafgerichte hätten es nur mit den kriminellen Gesellschaftsschichten zu tun, dann sind Sie naiver, als ich gedacht hätte. Manchmal sitzen selbst Schriftsteller auf der Anklagebank, wie Sie sicher wissen. Und zweifellos hat sich in dem Urteil auch niedergeschlagen, wie bedenklich es ist, wenn ein Mensch, der sich durch einen Eid verpflichtet hat, die Gesetze zu wahren und auszulegen, sie so gröblich missachtet.«
    »Sieben Jahre Zuchthaus. Selbst Oscar Wilde hat nur zwei bekommen.«
    »Eben darum obliegt die Festsetzung des Strafmaßes dem Gericht und nicht Leuten wie Ihnen und mir. Ich hätte Edalji vielleicht nicht weniger gegeben, Wilde aber ganz sicher mehr. Er war von Grund auf schuldig – und des Meineids noch dazu.«
    »Ich habe einmal mit ihm gespeist«, sagte Doyle. Jetzt kam Feindseligkeit auf wie ein Nebel aus dem River Sow, und jeder Instinkt riet ihm, ein wenig zurückzurudern. »Das muss wohl 1889 gewesen sein. Ein Abend, der mich beglückt hat. Ich hatte damit gerechnet, dass Wilde die Unterhaltung an sich reißt und immer im Vordergrund stehen will, fand jedoch, dass er ein Gentleman mit vollendeten Manieren war. Wir waren zu viert, und wenngleich er die anderen drei haushoch überragte, ließ er sie das nie spüren. Wer lange Monologe hält, und wenn sie noch so geistreich sind, ist im Grunde seines Herzens niemals ein Gentleman. Bei Wilde war es ein freier Austausch der Gedanken, und er beherrschte die Kunst, sich an allem, was wir sagten, interessiert zu zeigen. Er hatte sogar meinen Micah Clarke gelesen.
    Ich erinnere mich, dass wir darüber sprachen, wie uns das Glück von Freunden manchmal seltsam unzufrieden macht. Wilde erzählte uns die Geschichte vom Teufel in der Libyschen Wüste. Kennen Sie die? Nein? Nun, der Teufel ging seinen Geschäften nach, machte die Runde durch sein Reich, und da begegnete er ein paar bösen Geistern, die einen heiligen Eremiten piesackten. Dazu gebrauchten sie die üblichen Versuchungen und Hetzereien, denen der fromme Mann ohne große Mühe widerstand. ›So macht man das nicht‹, sagte ihr Gebieter. ›Ich zeige es euch. Passt gut auf.‹ Dann trat der Teufel von hinten an den heiligen Eremiten heran und flüsterte ihm in honigsüßem Ton ins Ohr: ›Dein Bruder wurde soeben zum Bischof von Alexandria ernannt.‹ Und sofort verzog sich die Miene des Eremiten in wilder Eifersucht. › Das ‹, sagte der Teufel, ›ist die beste Methode.‹«
    Anson stimmte in Doyles Gelächter ein, wenn auch nicht aus vollem Herzen. Die seichten Zynismen eines Großstadt-Sodomiten waren nicht nach seinem Geschmack. »Wie dem auch sei«, sagte er. »In Wilde selbst hat der Teufel jedenfalls ein leichtes Opfer gefunden.«
    »Ich muss hinzufügen«, fuhr Doyle fort, »dass ich im Gespräch mit Wilde nie einen Hauch von ungehörigem Denken bemerkt habe und ihn zu der Zeit auch nicht mit dergleichen in Zusammenhang bringen konnte.«
    »Mit anderen Worten, ein hochgebildeter Gentleman.«
    Doyle überhörte den Spott. »Ich habe ihn einige Jahre darauf wiedergetroffen, und zwar auf einer Straße in London, und da schien er mir völlig wahnsinnig geworden zu sein. Er

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