Arthur & George
bekannt.«
»Aha, plötzlich ist er also ein Parse?«
»Wie meinen Sie das?«
»Sie können ihn nicht in einem Moment als hochgebildeten Engländer hinstellen und im nächsten als Parsen, ganz wie es Ihnen beliebt. Ist es klug, wenn ein ehrbarer junger Mann sich für eine derart große Summe verbürgt und sich dann drei verschiedenen Geldverleihern ausliefert? Wie viele Solicitors kennen Sie, die so etwas tun? Lesen Sie zwischen den Zeilen, Doyle. Fragen Sie Ihren Freund danach.«
»Ich habe nicht die Absicht, ihn danach zu fragen. Und er ist eindeutig nicht in Konkurs geraten.«
»Ganz recht. Vermutlich ist ihm die Mutter zu Hilfe gekommen.«
»Oder vielleicht gab es andere Menschen in Birmingham, die ihm dasselbe Vertrauen entgegenbrachten wie er dem Freund, für den er gebürgt hatte.«
Anson fand Doyle ebenso halsstarrig wie naiv. »Ich weiß Ihre … romantische Ader zu schätzen, Sir Arthur. Sie macht Ihnen alle Ehre. Aber verzeihen Sie mir, wenn ich sie unrealistisch finde. Genau wie Ihre Kampagne. Ihr Schützling ist aus dem Gefängnis entlassen worden. Er ist ein freier Mann. Wozu wollen Sie dann noch die öffentliche Meinung aufrühren? Wollen Sie, dass das Innenministerium den Fall noch einmal überprüft? Das Innenministerium hat den Fall unzählige Male überprüft. Wollen Sie einen Untersuchungsausschuss? Woher nehmen Sie die Gewissheit, dass er Ihnen das verschafft, was Sie wollen?«
»Wir werden einen Untersuchungsausschuss bekommen. Wir werden eine Begnadigung bekommen. Wir werden eine Entschädigung bekommen. Und darüber hinaus machen wir den wirklichen Verbrecher namhaft, an dessen Stelle George Edalji leiden musste.«
»Ach, auch das noch?« Nun wurde Anson richtig ärgerlich. Es hätte ohne weiteres ein angenehmer Abend werden können: Zwei Männer von Welt, die beide auf die Fünfzig zugingen, der eine Sohn eines Earls und der andere Ritter des Königreichs, beide, wie es sich traf, Deputy Lieutenants ihrer jeweiligen Grafschaft. Es gab viel mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede zwischen ihnen … und stattdessen lag jetzt Streit in der Luft.
»Doyle, gestatten Sie mir zwei Bemerkungen. Sie gehen offenkundig von einer kontinuierlichen Verfolgung aus, die sich über Jahre hinzog – die Briefe, die üblen Streiche, die Verstümmelungen, die zusätzlichen Drohungen. Des Weiteren meinen Sie, die Polizei lege das alles Ihrem Freund zur Last. Sie hingegen legen das alles bekannten oder auch unbekannten Verbrechern zur Last, und zwar ein und denselben Verbrechern. Wo bleibt da die Logik? Wir haben Edalji nur wegen zweier Delikte angeklagt, und der zweite Punkt der Anklage wurde gar nicht weiter verfolgt. Ich kann mir vorstellen, dass Edalji in etlichen Punkten unschuldig ist. Hinter einer solchen Häufung von Verbrechen steckt selten ein einziger Kopf. Vielleicht ist Edalji der Rädelsführer, vielleicht ein bloßer Mitläufer. Vielleicht hat er gesehen, welche Wirkung ein anonymer Brief hat, und wollte das selbst ausprobieren. Hat vielleicht gesehen, welche Wirkung ein übler Streich hat, und wollte auch mal einen Streich spielen. Hat von einer Tierschlitzerbande gehört und wollte mitmachen.
Und zum Zweiten. Ich habe nicht nur einmal gesehen, wie ein möglicherweise Schuldiger freigesprochen und ein möglicherweise Unschuldiger verurteilt wurde. Schauen Sie nicht so erstaunt. Ich kenne Beispiele von falscher Anschuldigung und falscher Verurteilung. Solche Fälle sind aber nur selten so klar und einfach, wie die Anhänger der Betroffenen es gern hätten. Als Beispiel möchte ich Ihnen eine These vorstellen. Sie sind George Edalji zum ersten Mal in einer Hotelhalle begegnet. Soweit ich weiß, hatten Sie sich verspätet. Sie haben ihn in einer bestimmten Pose gesehen, aus der Sie seine Unschuld ableiteten. Es könnte aber auch so gewesen sein: George Edalji war vor Ihnen dort. Er hat Sie erwartet. Er hat gewusst, dass Sie ihn beobachten würden. Er hat sich entsprechend in Positur gesetzt.«
Darauf gab Doyle keine Antwort, er schob nur das Kinn vor und zog an seiner Zigarre. Anson fand, er war ein verdammt störrischer Bursche, dieser Schotte oder Ire oder was immer er zu sein behauptete.
»Sie wollen, dass er vollkommen unschuldig ist, nicht wahr? Nicht nur unschuldig, sondern vollkommen unschuldig? Meiner Erfahrung nach, Doyle, ist niemand vollkommen unschuldig. Man mag jemanden nicht für schuldig befinden, aber das ist etwas anderes, als unschuldig zu sein. Kaum jemand ist vollkommen
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