Arthur & George
Magistrates’ Court von Cannock. Sie wussten nicht, dass er schon einmal dort war?«
»Darf ich das sehen?«
»Leider nein. Polizeiakten.«
»Dann geben Sie mir wenigstens die Namen der Verurteilten.« Als Anson zögerte, fügte Doyle hinzu: »Ich kann immer noch meine Bluthunde auf die Sache ansetzen.«
Zu Doyles Erstaunen gab Anson so etwas wie ein belustigtes Bellen von sich. »Sie arbeiten also auch mit Bluthunden? Na schön, die beiden hießen Walker und Gladwin.« Er sah Doyle an, dass ihm diese Namen nichts sagten. »Im Übrigen können wir annehmen, dass dies kein Einzelfall war. Wahrscheinlich gab es vorher oder nachher weitere Angriffe, vielleicht weniger schwerwiegende. Beleidigungen sicherlich auch. Die jungen Männer von Staffordshire sind beileibe keine Engel.«
»Es mag Sie überraschen, dass George Edalji entschieden bestreitet, sein unglückliches Schicksal könne auf Rassenvorurteile zurückzuführen sein.«
»Umso besser. Dann können wir das zum Glück beiseitelassen.«
»Allerdings bin ich«, fuhr Doyle fort, »mit seiner Analyse natürlich nicht einverstanden.«
»Nun, das ist Ihr gutes Recht«, erwiderte Anson gelassen.
»Und warum ist dieser tätliche Angriff von Bedeutung?«
»Weil man das Ende nicht verstehen kann, Doyle, wenn man den Anfang nicht kennt.« Allmählich machte Anson die Sache Spaß. Sein Gegner musste eine Schlappe nach der anderen einstecken. »George Edalji hatte guten Grund, den Bezirk Wyrley zu hassen. Zumindest glaubte er das.«
»Und darum rächt er sich, indem er Vieh umbringt? Wo ist da der Zusammenhang?«
»Ich sehe schon, Sie sind ein Stadtmensch, Doyle. Eine Kuh, ein Pferd, ein Schaf, ein Schwein – das ist nicht nur Vieh. Das ist der Lebensunterhalt. Also ein Angriff auf die wirtschaftlichen Grundlagen, wenn Sie so wollen.«
»Können Sie mir eine Verbindung zwischen einem der beiden Täter von Landywood und dem später verstümmelten Vieh aufzeigen?«
»Nein. Aber Sie dürfen von einem Verbrecher keine Logik erwarten.«
»Auch nicht von einem intelligenten?«
»Erst recht nicht, meiner Erfahrung nach. Auf jeden Fall haben wir es mit einem jungen Mann zu tun, der das Hätschelkind seiner Eltern ist, der immer noch zu Hause hockt, während sein jüngerer Bruder schon das Weite gesucht hat. Ein junger Mann mit einem Hass auf diesen Bezirk, über den er sich erhaben fühlt. Er hat katastrophale Schulden. Die Geldverleiher drohen ihm mit dem Konkursgericht, er steht vor dem beruflichen Ruin. Er sieht alles entschwinden, wofür er sein Leben lang gearbeitet hat …«
»Und darum?«
»Darum … vielleicht ist er wahnsinnig geworden, wie Ihr Freund Mr Wilde.«
»Wilde wurde in meinen Augen durch seinen Erfolg zugrunde gerichtet. Die Auswirkungen allabendlicher Beifallsstürme im West End lassen sich wohl kaum mit ein paar Besprechungen einer Abhandlung über das Eisenbahnrecht in der Fachpresse vergleichen.«
»Sie sagten, bei Wilde liege eine pathologische Entwicklung vor. Warum nicht auch bei Edalji? Ich glaube, der Solicitor wusste schon seit Monaten nicht mehr aus noch ein. Das muss eine enorme, ja unerträgliche Belastung gewesen sein. Sie haben seinen Bettelbrief selbst ›verzweifelt‹ genannt. Da mag es zu einer pathologischen Entwicklung kommen, da mag eine schlechte Veranlagung im Blut sich unaufhaltsam Bahn brechen.«
»In ihm fließt zur Hälfte schottisches Blut.«
»Ganz recht.«
»Und zur anderen Hälfte parsisches. Die Parsen sind die gebildetste und wirtschaftlich erfolgreichste aller indischen Religionsgemeinschaften.«
»Das will ich nicht bezweifeln. Man nennt sie nicht umsonst die Juden von Bombay. Und ebenso wenig bezweifle ich, dass sich das ganze Unheil zum Teil auf das gemischte Blut zurückführen lässt.«
»Ich habe selbst gemischtes Blut, schottisches und irisches«, sagte Doyle. »Schlitze ich deshalb Tiere auf?«
»Sie nehmen mir das Wort aus dem Mund. Welcher Engländer – welcher Schotte – welcher halbe Schotte würde mit der Klinge auf ein Pferd, eine Kuh, ein Schaf losgehen?«
»Sie vergessen den Bergarbeiter Farrington, der genau das tat, während George im Gefängnis saß. Aber ich möchte zurückfragen: Welcher Inder würde so etwas tun? Werden Rinder dort nicht als Gottheiten verehrt?«
»Ganz recht. Doch wenn das Blut sich mischt, dann fängt das Unheil an. Es kommt zu einer unüberwindlichen Spaltung. Warum hat die menschliche Gesellschaft überall Abscheu vor dem Halbblut? Weil eine
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