Arthur & George
wieder ein Buch von Mrs Braddon. Ihr Gatte warf in dem angrenzenden Ankleidezimmer sein Jackett auf den Kleiderständer und rief zu ihr hinüber: »Sherlock Holmes steht vor einem Rätsel! Scotland Yard klärt Fall auf!«
»George, schrei nicht so.«
Captain Anson kam in seinem mit Tressen besetzten Morgenmantel auf Zehenspitzen und mit einem breiten Grinsen im Gesicht zu ihr. »Es ist mir egal, ob der Große Detektiv mit dem Ohr am Schlüsselloch hockt. Ich habe ihm heute Abend einiges über die wirkliche Welt beigebracht.«
Blanche Anson hatte ihren Gatten selten so kindisch erlebt und beschloss, den Schlüssel für den Tantalus bis zum Ende der Woche zu konfiszieren.
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Arthur
Arthurs Wut hat stetig zugenommen, seit sich die Tür von Green Hall hinter ihm geschlossen hat. Der erste Teil seiner Rückreise nach Hindhead trug wenig dazu bei, diesen Zorn abklingen zu lassen. Die Strecke Walsall, Cannock & Rugeley der London & North Western Railway war eine einzige Folge von Provokationen: von Stafford, wo George verurteilt wurde, über Rugeley, wo er zur Schule gegangen war, Hednesford, wo er angeblich gedroht hatte, Sergeant Robinson in den Kopf zu schießen, Cannock, wo diese Idioten von Laienrichtern ihn an die nächste Instanz überwiesen hatten, Wyrley & Churchbridge, wo alles angefangen hatte, dann an Feldern entlang, auf denen womöglich Blewitts Pferde weideten, ging es über Walsall, wo mit Sicherheit der Ursprung der Verschwörung zu finden war, nach Birmingham, wo George festgenommen worden war. Jede Station an der Strecke gab ihm etwas zu verstehen, und die Botschaft war immer gleich und stammte aus Ansons Feder: Ich und meinesgleichen sind hier die Herren über das Land und die Menschen und die Gerechtigkeit.
Jean hat ihn noch nie so aufgebracht gesehen. Es ist heller Nachmittag, und Arthur lässt das Teegeschirr klirren, während er seine Geschichte erzählt.
»Und weißt du, was er noch gesagt hat? Er hat doch glatt behauptet, es würde meinem Ruf nicht gut tun, meine … meine amateurhaften Spekulationen weiter zu verbreiten. Mit solcher Herablassung hat mich kein Mensch mehr behandelt, seit ich als mittelloser Arzt in Southsea einen reichen Patienten davon überzeugen wollte, dass er vollkommen gesund sei, während er darauf beharrte, er stehe an der Schwelle des Todes.«
»Und was hast du dann gemacht? In Southsea, meine ich.«
»Was ich gemacht habe? Ich habe ihm noch einmal versichert, dass er kerngesund sei, er hat erwidert, er bezahle keinen Arzt dafür, dass der ihm so etwas sage, also habe ich ihm geraten, sich einen anderen Spezialisten zu suchen, der ihm jedes Leiden diagnostizieren würde, das er sich einzubilden beliebe.«
Jean lacht über diese Szene, wobei in ihrer Belustigung auch ein wenig Bedauern mitschwingt, dass sie nicht dabei war, nie hätte dabei sein können. Sicher, die Zukunft liegt vor ihnen, doch auf einmal stört es sie, dass sie nicht auch einen kleinen Anteil an der Vergangenheit hat.
»Was willst du jetzt machen?«
»Ich weiß genau, was ich mache. Anson glaubt, ich hätte dieses Dossier in der Absicht zusammengestellt, es an das Innenministerium zu schicken, wo es verstaubt und dann ganz nebenbei in irgendeinem internen Bericht kurz erwähnt wird, der schließlich herauskommt, wenn wir alle längst tot sind. Ich denke nicht daran, dieses Spiel mitzuspielen. Ich werde meine Erkenntnisse so weit verbreiten, wie es nur geht. Im Zug habe ich mir alles überlegt. Ich biete meinen Bericht dem Daily Telegraph an, der ihn sicherlich mit dem größten Vergnügen abdruckt. Aber ich tue noch mehr. Ich lasse den Vermerk »Nachdruck gestattet« dazusetzen, sodass andere Zeitungen – und vor allem die in den Midlands – ihn in voller Länge und unentgeltlich übernehmen können.«
»Wunderbar. Und so großzügig.«
»Darum geht es nicht. Es geht darum, die größtmögliche Wirkung zu erzielen. Außerdem stelle ich jetzt Captain Ansons Rolle in dem Fall, sein voreingenommenes Agieren von Anfang an, klar und deutlich heraus. Wenn er meine amateurhaften Spekulationen über sein Treiben hören will, soll er sie haben. Er kann sie auch vor Gericht hören, falls er mich wegen Verleumdung verklagen will. Und es kann sehr gut sein, dass er am Ende seine berufliche Zukunft neu überdenken muss.«
»Arthur, darf ich …«
»Ja, meine Liebe?«
»Vielleicht ist es ratsam, keinen persönlichen Rachefeldzug gegen Captain Anson aus dem Fall zu machen.«
»Warum denn nicht?
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