Arthur & George
selbstverständlich von vornherein ausgesondert werden; doch wo rechtliche Fragen oder solche des Sachverhalts ernstlich strittig waren oder die untere Instanz sich voreingenommen oder inkompetent gezeigt hatte, da musste ein höheres Gericht den Fall erneut verhandeln.
Georges Vater hatte ihm mehrfach zu verstehen gegeben, dass sein Leiden einem höheren Zweck diene. George hatte nie ein Märtyrer sein wollen und sah noch immer keine christliche Erklärung für das, was er durchgemacht hatte. Doch der Fall Beck und der Fall Edalji hatten in seinem Berufsstand hohe Wellen geschlagen, und so war es durchaus möglich, dass er sich am Ende doch noch als eine Art Märtyrer erwies, wenn auch von einer schlichteren, praktischeren Art – ein juristischer Märtyrer, dessen Leiden einen Fortschritt in der Rechtspflege bewirkt hatte. Nichts würde, Georges Ansicht nach, ihm je die in Lewes und Portland geraubten Jahre und das Jahr der Ungewissheit nach seiner Freilassung ersetzen können; und dennoch, wäre es nicht ein gewisser Trost, wenn dieser entsetzliche Bruch in seinem Leben letztendlich etwas Gutes für seinen Berufsstand zur Folge hätte?
Vorsichtig, als sei er sich der Sünde des Stolzes bewusst, begann George sich ein juristisches Lehrbuch vorzustellen, wie man es in hundert Jahren schreiben könnte. »Das Berufungsgericht wurde ursprünglich als Folge zahlreicher Fehlurteile eingerichtet, die in der Bevölkerung Unzufriedenheit ausgelöst hatten. Eine nicht unerhebliche Rolle spielte dabei der Fall Edalji, dessen Einzelheiten uns nicht mehr zu interessieren brauchen; der Leidtragende dieses Falls war übrigens der Autor von Railway Law for the ›Man in the Train‹ , einem der ersten Werke, die Licht in dieses oft verwirrende Thema brachten und das auch heute noch konsultiert wird …« Es gab schlimmere Schicksale, meinte George, als das einer Fußnote in der Rechtsgeschichte.
Eines Morgens traf eine große, längliche Karte für ihn ein. Darauf stand in gestochener, silbern gedruckter Schrift:
George war unsagbar gerührt. Er stellte die Karte auf seinem Kaminsims auf und antwortete umgehend. Die Incorporated Law Society hatte ihn wieder unter die Solicitors aufgenommen, und nun hatte Sir Arthur ihn wieder in die menschliche Gesellschaft aufgenommen. Nicht, dass er irgendwelche gesellschaftlichen Ambitionen hätte – jedenfalls nicht auf solch hohe Sphären; doch er betrachtete die Einladung als eine noble und symbolische Geste gegenüber einem Menschen, der sich noch vor einem Jahr im Zuchthaus von Portland in die Romane von Tobias Smollett vergraben hatte, um nicht den Verstand zu verlieren. George grübelte lange über ein passendes Hochzeitsgeschenk nach und entschied sich am Ende für gediegen gestaltete, einbändige Ausgaben von Shakespeare und Tennyson.
Arthur will unbedingt vermeiden, dass ihm irgendein verdammter Reporter auf die Spur kommt. Es wird nicht bekannt gegeben, wo er und Jean heiraten werden; am Vorabend lädt er nur die engsten Freunde ins The Gaiety ein; und an St Margaret’s Westminster wird die gestreifte Markise erst in allerletzter Minute aufgestellt. Es kommen nur ein paar Passanten an dieser verschlafenen, sonnenbestäubten Ecke neben der Abtei zusammen und wollen sehen, wer da so diskret an einem Mittwoch heiratet statt ostentativ am Samstag.
Arthur trägt einen Gehrock mit weißer Weste und eine große weiße Gardenie im Knopfloch. Sein Bruder Innes, auf Sonderurlaub vom Herbstmanöver, steht ihm nervös zur Seite. Cyril Angell, Ehemann von Arthurs jüngster Schwester Dodo, wird die Trauung vornehmen. Die Mama, die vor kurzem ihren siebzigsten Geburtstag gefeiert hat, trägt grauen Brokat; Connie und Willie sind ebenso gekommen wie Lottie, Ida, Kingsley und Mary. Arthurs Traum, seine Familie unter einem Dach um sich zu scharen, ist nie in Erfüllung gegangen; doch hier sind für kurze Zeit alle vereint. Und Mr Waller ist ausnahmsweise nicht mit von der Partie.
Der Altarraum ist mit hohen Palmen geschmückt, um deren Fuß Büschel von weißen Blumen arrangiert sind. Es soll ein Chorgottesdienst sein, und in Anbetracht seiner sonntäglichen Vorliebe für Golf statt Kirche hat Arthur die Auswahl der Lieder Jean überlassen: »Praise the Lord, ye Heavens adore Him« und »O Perfect Love, all human thought transcending«. Er steht in der ersten Bank und denkt an die letzten Worte, die sie zu ihm sagte: »Ich lasse dich nicht warten, Arthur. Das habe ich meinem Vater ganz klar
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