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Arthur & George

Arthur & George

Titel: Arthur & George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Barnes
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gesagt.« Er weiß, dass sie ihr Versprechen halten wird. Man könnte meinen, da sie zehn Jahre aufeinander gewartet haben, käme es auf weitere zehn oder zwanzig Minuten auch nicht mehr an und die Verzögerung würde eher noch zur Dramatik des Ereignisses beitragen. Doch zu seiner großen Freude ist Jean von dieser vermeintlich reizvollen bräutlichen Koketterie völlig frei. Sie sollen um viertel vor zwei getraut werden; darum wird sie um viertel vor zwei in der Kirche sein. Das ist ein solides Fundament für eine Ehe, denkt er. Während er dort steht und zum Altar sieht, überlegt er, dass er die Frauen zwar nicht immer versteht, aber doch unterscheiden kann, wer von ihnen ehrlich spielt und wer nicht.
    Jean Leckie erscheint exakt um ein Uhr fünfundvierzig am Arm ihres Vaters. An der Kirchentür wird sie von ihren Brautjungfern in Empfang genommen, Lily Loder-Symonds mit den spiritistischen Neigungen und Leslie Rose. Jeans Page ist Master Bransford Angell, der Sohn von Cyril und Dodo, der einen seidenen Frack in Blau und Ecru trägt. Jeans Kleid im angedeuteten Empirestil mit einem Vorderteil in Prinzessform ist aus elfenbeinfarbener spanischer Spitze, deren Motive mit zarter Perlenstickerei hervorgehoben werden. Das Unterkleid besteht aus silbernem Gewebe; die mit weißem Crêpe de Chine eingefasste Schleppe fällt von einem Liebesknoten aus Chiffon herab und wird von einem Hufeisen aus weißer Erika gehalten; der Schleier steckt über einem Kranz aus Orangenblüten.
    Arthur nimmt von all dem nur wenig wahr, als Jean neben ihm steht. Kleider interessieren ihn nicht sonderlich, und daher hat er überhaupt nichts gegen den Aberglauben, dass der Bräutigam keinen Blick von dem Hochzeitskleid erhaschen darf, ehe es mit der Braut vor ihm steht. In seinen Augen sieht Jean verdammt hübsch aus, und er hat einen allgemeinen Eindruck von Cremefarben und Perlen und einer langen Schleppe. In Wahrheit hätte er sie ebenso gern im Reitdress gesehen. Er spricht seine Gelübde mit kräftiger Stimme; ihre sind kaum zu hören.
    Im Hotel Metropole führt eine prachtvolle Treppe zu den Whitehall Rooms. Die Schleppe erweist sich als verflixt hinderlich; die Brautjungfern und der kleine Bransford machen sich endlos daran zu schaffen, bis Arthur die Geduld verliert. Er hebt die Braut hoch und trägt sie mühelos die Treppe hinauf. Er riecht Orangenblüten, spürt, wie sich Perlen an seine Wange drücken, und hört seine Braut zum ersten Mal an diesem Tag leise lachen. Unten applaudiert die Hochzeitsgesellschaft, und die oben versammelten Gäste des Empfangs antworten mit noch lauterem Beifall.
    George ist sich schmerzlich bewusst, dass er hier niemanden kennen wird außer Sir Arthur, dem er erst zweimal begegnet ist, und der Braut, die ihm im Grand Hotel, Charing Cross, kurz die Hand geschüttelt hat. Er hat große Zweifel, ob Mr Yelverton eingeladen wurde, von Harry Charlesworth ganz zu schweigen. Er hat sein Geschenk abgegeben und die alkoholischen Getränke abgelehnt, die alle anderen in der Hand halten. Er schaut sich in den Whitehall Rooms um: Köche hantieren geschäftig an einem langen Büfett, das Metropole-Orchester stimmt sich ein, und überall stehen hohe Palmen mit Farnkraut und Blattwerk und Büscheln von weißen Blumen am Fuß. Auch die am Rande des Saals aufgestellten Tischchen sind mit weißen Blumen geschmückt.
    Zu Georges Erstaunen und erheblicher Erleichterung kommen Menschen auf ihn zu und reden mit ihm; sie scheinen zu wissen, wer er ist, und begrüßen ihn beinahe wie einen alten Bekannten. Alfred Wood stellt sich vor und erzählt, wie er im Pfarrhaus von Wyrley war und das große Vergnügen hatte, Georges Familie kennenzulernen. Mr Jerome, der bekannte Humorist, gratuliert ihm zu seinem erfolgreichen Kampf um Gerechtigkeit, macht ihn mit Miss Jerome bekannt und weist ihn auf andere Berühmtheiten hin: Da drüben ist J. M. Barrie, dort Bram Stoker und da Max Pemberton. Sir Gilbert Parker, der den Innenminister im Unterhaus mehrfach in Verlegenheit gebracht hat, kommt und will George die Hand drücken. George erkennt, dass ihn alle wie einen Menschen behandeln, dem schweres Unrecht geschehen ist; nicht einer von ihnen schaut ihn an, als sei er der heimliche Verfasser einer Serie von wahnsinnigen und obszönen Briefen. Es wird nichts direkt gesagt; man geht einfach stillschweigend davon aus, dass er die Dinge im Allgemeinen so sieht, wie auch sie die Dinge im Allgemeinen sehen.
    Das Orchester beginnt leise zu

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