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Arthur & George

Arthur & George

Titel: Arthur & George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Barnes
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dankbar.
    Natürlich ging man ständig von falschen Annahmen über ihn aus: dass er und seine Schwester erst vor kurzem in dieses Land gekommen seien; dass er Hindu sei; dass er mit Gewürzen handele. Und natürlich fragte man ihn immer noch, wo er herkomme; doch wenn er – um weitergehende geographische Erörterungen zu vermeiden – zur Antwort gab, er komme aus Birmingham, nickten seine Gesprächspartner meist wenig überrascht, als hätten sie schon immer gewusst, dass die Einwohner von Birmingham so aussahen wie George Edalji. Natürlich gab es auch scherzhafte Anspielungen der Art, mit denen Greenway und Stentson sich vergnügt hatten – wenn auch nur selten auf Betschuanaland –, doch das nahm er als so unvermeidlich und normal hin wie Regen und Nebel. Und manche Leute zeigten sich sogar enttäuscht, wenn sie hörten, dass man aus Birmingham kam, weil sie auf Neuigkeiten aus fernen Landen gehofft hatten, mit denen man gar nicht dienen konnte.
    Er nahm die Untergrundbahn von der Station Bank bis High Street Kensington, dann ging er in östlicher Richtung zu Fuß weiter, bis die gewölbten Umrisse der Albert Hall in Sicht kamen. Da er es mit der Zeit immer übergenau nahm – Maud zog ihn gern damit auf –, war er fast zwei Stunden vor Beginn der Feier da. Er beschloss, einen Spaziergang im Park zu machen.
    Es war kurz nach fünf an einem schönen Sonntagnachmittag im Juli, und aus einem Pavillon ertönte schmetternde Musik. Der Park war voller Familien, Ausflügler und Soldaten – doch sie bildeten nirgendwo eine dichte Menge und machten George deshalb keine Angst. Er schaute auch nicht mehr so neidisch wie vielleicht früher einmal nach den jungen, miteinander flirtenden Pärchen und den ernsthaften Eltern, die kleine Kinder beaufsichtigten. Als er nach London kam, hatte er die Hoffnung zu heiraten noch nicht aufgegeben; ja, er machte sich sogar Gedanken darüber, wie seine zukünftige Ehefrau wohl mit Maud auskäme. Denn Maud konnte er auf keinen Fall im Stich lassen und wollte es auch nicht. Doch als einige Jahre vergangen waren, stellte er fest, dass ihm Mauds gute Meinung von seiner künftigen Ehefrau wichtiger war als umgekehrt. Und als weitere Jahre vergangen waren, traten die allgemeinen Nachteile einer Ehefrau noch deutlicher hervor. Eine Ehefrau mochte anfangs umgänglich erscheinen und sich dann als Zankteufel entpuppen; eine Ehefrau brachte womöglich kein Verständnis für Sparsamkeit auf; eine Ehefrau würde sich gewiss Kinder wünschen, und George glaubte nicht, dass er den damit einhergehenden Lärm und die Störung bei seiner Arbeit ertragen könnte. Dann waren da natürlich noch sexuelle Angelegenheiten, die oft keine Harmonie mit sich brachten. George bearbeitete keine Scheidungsfälle, doch als Anwalt hatte er genügend Beweise dafür gesehen, welches Leid eine Ehe den Menschen zufügen konnte. Sir Arthur hatte einen langen Feldzug gegen die grausamen Scheidungsgesetze geführt und war über Jahre hinweg Präsident der Reform Union gewesen, ehe er den Vorsitz an Lord Birkenhead abtrat. So folgte ein Name auf der Ehrentafel dem anderen: Eben dieser Lord Birkenhead, damals noch F. E. Smith, hatte Gladstone im Unterhaus bohrende Fragen zum Fall Edalji gestellt.
    Aber das war jetzt nebensächlich. George war vierundfünfzig Jahre alt, führte ein recht behagliches und sorgenfreies Leben und trug seinen unverheirateten Stand zumeist mit philosophischer Gelassenheit. Sein Bruder Horace war nun für die Familie verloren: Er hatte geheiratet, war nach Irland gezogen und hatte einen anderen Namen angenommen. George wusste nicht genau, in welcher Reihenfolge er das getan hatte, doch es gab unverkennbar einen Zusammenhang, und George schien eins so wenig erstrebenswert wie das andere. Nun, es gab unterschiedliche Lebensweisen; und die Wahrheit sah so aus, dass eine Ehe weder für ihn noch für Maud je sehr wahrscheinlich gewesen war. Sie ähnelten sich in ihrer Schüchternheit und in ihrer scheinbaren Abwehr gegen alle Annäherungsversuche. Doch es gab schon genug Ehen auf dieser Welt, der ganz gewiss keine Untervölkerung drohte. Bruder und Schwester konnten so harmonisch miteinander leben wie Mann und Frau; bisweilen sogar harmonischer.
    Anfangs waren er und Maud zwei-, dreimal im Jahr nach Wyrley zurückgekehrt, doch diese Besuche waren nur selten glücklich. Für George weckten sie zu viele Erinnerungen einer ganz bestimmten Art. Der Türklopfer ließ ihn noch immer erschrecken, und wenn er

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