Arthur & George
ihm den Weg über eine rückwärtige Treppe, die in einen halbrunden Gang führte. Eine Tür ging auf, und er stand in dem engen Trichter einer Loge. Sie hatte fünf Plätze, alle noch unbesetzt: einen hinten, zwei nebeneinander und zwei weitere vorne am Messinggeländer. George zögerte kurz, dann holte er tief Luft und trat nach vorn.
Von allen Seiten dieses goldenen und rotplüschigen Amphitheaters strahlen ihn Lichter an. Das Gebäude gleicht eher einer ovalen Schlucht; er kann weit zur anderen Seite sehen, nach unten, nach oben. Wie viele Menschen fasst dieser Saal – achttausend, zehntausend? Beinahe schwindelig setzt er sich auf einen vorderen Platz. Er ist froh, dass Maud ihn darauf gebracht hat, das Fernglas mitzunehmen: So schweift sein Blick über die Arena und das schräg abfallende Parkett, die drei Logenränge, die große Orgel hinter der Bühne, dann über den höher gelegenen schräg ansteigenden ersten Rang und die von braunen Marmorsäulen gestützte Bogenreihe, über der sich eine Kuppel erhebt, die von einem schwebenden Segeltuchbaldachin verdeckt wird, als hinge eine Wolkenlandschaft über den Köpfen der Zuschauer. Er betrachtet die unten ankommenden Menschen – einige tragen Abendkleidung, doch die meisten richten sich nach Sir Arthurs Wunsch, nicht um ihn zu trauern. George schwenkt das Fernglas wieder zur Bühne hin: Da sind Garben von Blumen, die er für Hortensien hält, und große Hängefarne einer ihm unbekannten Art. Für die Familie steht eine Reihe hochlehniger Stühle bereit. Auf dem mittleren ist ein rechteckiges Pappschild aufgestellt. George richtet sein Fernglas auf diesen Stuhl. Auf dem Schild steht SIR ARTHUR CONAN DOYLE .
Während der Saal sich füllt, verstaut George das Fernglas im Etui. Die Loge zu seiner Linken wird besetzt; nur eine gepolsterte Armlehne trennt George von seinen Nachbarn. Sie grüßen ihn freundlich, als sei dies eine zwar ernste, aber auch zwanglose Veranstaltung. Er fragt sich, ob er als Einziger hier kein Spiritualist ist. Mit der Ankunft einer vierköpfigen Familie ist seine Loge voll; er bietet an, sich auf den einzelnen Platz im hinteren Teil zu setzen, aber sie wollen nichts davon hören. Sie wirken wie ganz gewöhnliche Londoner auf ihn: ein Ehepaar mit zwei fast erwachsenen Kindern. Die Frau setzt sich ganz unbefangen auf den Platz neben ihm: Sie ist Ende dreißig, seiner Schätzung nach, dunkelblau gekleidet, hat ein breites, offenes Gesicht und wallendes kastanienbraunes Haar.
»Das ist ja schon halbwegs im Himmel hier oben, nicht wahr?«, sagt sie fröhlich. Er nickt höflich. »Und woher kommen Sie?«
George will ausnahmsweise einmal genau antworten. »Aus Great Wyrley«, sagt er. »Das liegt in der Nähe von Cannock in Staffordshire.« Er macht sich halbwegs darauf gefasst, dass sie wie Greenway und Stentson erwidert: »Nein, wo kommen Sie wirklich her?« Aber sie wartet einfach nur ab; vielleicht soll er sagen, welcher spiritualistischen Vereinigung er angehört. Er ist versucht zu erklären: »Sir Arthur war ein Freund von mir« und weiter: »Ich war sogar auf seiner Hochzeit«, und es ihr anhand seiner Memories and Adventures zu beweisen, falls sie daran zweifeln sollte. Doch das könnte überheblich wirken. Außerdem fragt sie sich dann vielleicht, warum er, wenn er ein Freund von Sir Arthur war, so weit von der Bühne entfernt zwischen gewöhnlichen Leuten sitzt, denen dieses Glück nicht beschieden war.
Als der Saal voll ist, werden die Lichter gedämpft und die Familie tritt auf die Bühne. George überlegt, ob man aufstehen, vielleicht sogar applaudieren soll; er ist so an die Rituale der Kirche gewöhnt, wo er weiß, wann man aufsteht, wann man niederkniet, wann man sitzen bleibt, dass er ganz hilflos ist. Wenn dies ein Theater wäre und die Nationalhymne gespielt würde, wäre das Problem gelöst. Seinem Gefühl nach sollten sich alle Sir Arthur zu Ehren und aus Achtung vor seiner Witwe erheben; doch es gibt keine Anweisung, und so bleiben alle sitzen. Lady Conan Doyle trägt keine Trauerkleidung, sondern Grau; ihre beiden hochgewachsenen Söhne, Denis und Adrian, sind in Frack und Zylinder; dann folgt ihre Schwester Jean und die Halbschwester Mary, das überlebende Kind aus Sir Arthurs erster Ehe. Lady Conan Doyle nimmt links von dem leeren Stuhl Platz. Ein Sohn setzt sich neben sie, der andere auf die andere Seite der Papptafel; die beiden jungen Männer stellen ihre Zylinderhüte etwas verlegen auf dem Fußboden ab. George
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