Arthur & George
hat seinen Moment verpasst. Sie haben nur Augen für Mr Swaffer, der nun wieder einen anderen Doyle feiert, und der ist noch größer als Doyle, der siegreiche Streiter für Gerechtigkeit. Dieser größte aller Doyles war und ist der Mann, der den Frauen des Landes in den verzweifelten Stunden des Krieges den tröstlichen Beweis erbrachte, dass ihre Lieben nicht tot waren.
Nun sollen sie sich erheben, um zwei Minuten lang schweigend ihres großen Mitstreiters zu gedenken. Lady Conan Doyle wirft beim Aufstehen einen raschen Blick auf den leeren Stuhl neben ihr, dann steht sie zwischen ihren hochgewachsenen Söhnen und schaut in den Saal. Sechstausend – achttausend? zehntausend? – Menschen schauen zurück, von der Galerie, vom zweiten Rang, aus den verschiedenen Logen, aus dem großen Rund des Parketts und aus der Arena. In der Kirche würden die Menschen jetzt den Kopf senken und die Augen schließen, um des Verstorbenen zu gedenken. So zurückhaltend und nach innen gewandt geht es hier nicht zu: Mit offenem Blick wird aufrichtige Anteilnahme ausgedrückt. Auch das Schweigen scheint George anders zu sein als jedes, das er bisher erlebt hat. Ein feierliches Schweigen ist respektvoll, gewichtig, manchmal auch absichtlich traurig stimmend; dieses Schweigen hier ist aktiv, erwartungsvoll und sogar leidenschaftlich erregt. Wenn Schweigen so etwas wie unterdrückter Lärm sein kann, dann ist dies so ein Schweigen. Als es vorbei ist, wird George bewusst, dass es eine derart sonderbare Macht über ihn hatte, dass er Sir Arthur fast vergessen hat.
Nun tritt Mr Craze wieder ans Mikrophon. »Heute Abend«, verkündet er, während die tausendköpfige Menge wieder Platz nimmt, »führen wir mit dem Mut, mit dem unser verstorbener Führer uns erfüllt hat, ein kühnes Experiment durch. Wir haben eine Sensitive unter uns, die versuchen wird, uns auf dieser Bühne ihre Eindrücke zu vermitteln. Wir tun das gemeinhin nicht gern in einer so riesigen Versammlung, weil es das Medium unter einen ungeheuren Druck setzt. In einem Saal mit zehntausend Menschen wirkt eine enorme Kraft von allen Seiten auf das Medium ein. Mrs Roberts wird heute Abend versuchen, einige besondere Freunde zu beschreiben, doch es ist der erste Versuch dieser Art in einer so riesengroßen Versammlung. Sie können sie mit Ihren Schwingungen unterstützen, wenn Sie das nächste Lied singen: ›Open My Eyes That I May See Glimpses of Truth‹.«
George hat noch nie an einer Séance teilgenommen. Er hat auch noch nie einer Zigeunerin eine Silbermünze in die Hand gedrückt oder Twopence bezahlt, um sich auf einem Jahrmarkt vor eine Kristallkugel setzen zu dürfen. In seinen Augen ist das alles Hokuspokus. Nur Dummköpfe oder primitive Völkerstämme würden glauben, dass sich aus Handlinien oder Teeblättern in einer Tasse irgendetwas ablesen lässt. Er will Sir Arthurs Überzeugung, dass der Geist über den Tod hinaus weiterlebt, gern respektieren; vielleicht auch, dass dieser Geist unter gewissen Umständen mit den Lebenden kommunizieren kann. Er räumt auch ein, dass an den telepathischen Experimenten, die Sir Arthur in seiner Autobiographie beschreibt, etwas dran sein könnte. Aber alles hat seine Grenzen. Zum Beispiel da, wo jemand Möbelstücke herumhüpfen lässt, wo geheimnisvolle Glocken läuten und fluoreszierende Gesichter von Toten aus der Dunkelheit auftauchen, wo Geisterhände sich angeblich in weichem Wachs abdrücken. Das alles sind für George allzu offensichtliche Zaubertricks. Es muss doch misstrauisch machen, wenn die besten Bedingungen für eine Geistkommunikation – geschlossene Vorhänge, gelöschte Lichter, Menschen, die sich an den Händen fassen, sodass sie nicht aufstehen und nachprüfen können, was da eigentlich vor sich geht – auch genau die Bedingungen sind, unter denen Scharlatanerie am besten floriert. Zu seinem Bedauern muss er Sir Arthur für leichtgläubig halten. Er hat gelesen, dass der amerikanische Illusionist Mr Harry Houdini, den Sir Arthur in den Vereinigten Staaten persönlich kennengelernt hat, sich erbot, alles nachzumachen, was ein professionelles Medium bewirken kann. Bei zahlreichen Auftritten hatte er sich von rechtschaffenen Männern fesseln lassen, doch sobald die Lichter gelöscht waren, konnte er sich stets genügend befreien, um Glocken zu läuten, Geräusche zu machen, die Möbelstücke herumzuschieben und sogar Ektoplasma zu erzeugen. Sir Arthur ging nicht auf Mr Houdinis Angebot ein. Er wollte nicht
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