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Arthur & George

Arthur & George

Titel: Arthur & George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Barnes
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thou my feet; I do not ask to see / The distant scene; one step enough for me.« Für eine Weile lässt er sich von den Worten ablenken, die ihm nicht recht zum Spiritualismus zu passen scheinen: Soweit er es verstanden hat, haben dessen Anhänger den fernen Schauplatz ständig im Blick, und die dorthin führenden Schritte sind genau festgelegt. Dann wendet er seine Aufmerksamkeit von dem Was dem Wie zu. Der Gesang ist in der Tat anders. In der Kirche singt man Choräle so, als mache man sich wieder mit seit Monaten und Jahren bekannten Worten vertraut – Worten, die so unzweifelhafte Wahrheiten enthalten, dass sie weder eines Beweises noch des Nachdenkens bedürfen. Hier klingt alles ganz frisch und unmittelbar; es liegt auch eine an leidenschaftliche Erregung grenzende Fröhlichkeit in den Stimmen, die ein Pfarrer wohl beunruhigend fände. Jedes Wort wird so artikuliert, als enthielte es eine völlig neue Wahrheit, die es zu feiern und unbedingt anderen mitzuteilen gilt. George kommt das alles höchst unenglisch vor. Vorsichtig meint er, es sei recht bewundernswert. »’till/The night is gone,/And with the morn those angel faces smile,/Which I have loved long since, and lost awhile.«
    Als das Lied zu Ende ist und alle wieder ihre Plätze einnehmen, bedenkt George seine Nachbarin mit einem kurzen, unbestimmten Gruß – eine ausgesprochen zurückhaltende Geste und doch etwas, das er in einer Kirche nie getan hätte. Die Nachbarin antwortet mit einem Lächeln, das sich über das gesamte Gesicht zieht. Es ist nicht aufdringlich und ganz und gar nicht missionarisch. Es wirkt auch nicht selbstgefällig. Ihr Lächeln besagt lediglich: Ja, das ist gewiss, das ist wahr, das ist eine Freude.
    George ist beeindruckt, aber auch leicht schockiert: Freude ist ihm verdächtig. Er hat in seinem Leben wenig davon erfahren. In seiner Kindheit gab es den Begriff Vergnügen, der meist mit den Wörtern Schuld, verstohlen und verboten einherging. Die einzigen statthaften Vergnügungen waren die, die durch das Wörtchen schlicht bestimmt wurden. Und Freude war etwas, das mit der Vorstellung von trompetenblasenden Engeln verbunden war, und der rechte Ort dafür war im Himmel und nicht auf Erden. Wahre Freude kennt keine Grenzen – so sagte man doch, nicht wahr? Georges Erfahrung nach kennt Freude aber stets enge Grenzen. Und was das Vergnügen angeht, so hat er das Vergnügen erlebt, seine Pflicht zu erfüllen – der Familie, den Mandanten und manchmal auch Gott gegenüber. Doch das meiste, was seinen Landsleuten Vergnügen bereitet, hat er nie getan: Biertrinken, Tanzen, Fußball und Cricket spielen; von anderem, das mit einer Ehe hätte kommen können, ganz zu schweigen. Er wird nie eine Frau kennen, die aufspringt wie ein junges Mädchen, ihr Haar richtet und ihm entgegenläuft.
    Mr E. W. Oaten, der einst voller Stolz die erste große Versammlung leitete, vor der Sir Arthur über den Spiritualismus sprach, sagt, kein Mensch habe besser alle Tugenden in sich vereint, die wir mit dem britischen Wesen verbinden: Mut, Optimismus, Treue, Mitgefühl, Großmut, Wahrheitsliebe und Hingabe an Gott. Danach erinnert Mr Hannen Swaffer daran, wie Sir Arthur sich vor nicht einmal zwei Wochen, obwohl bereits todkrank, die Treppe zum Innenministerium hinaufschleppte, um sich für die Aufhebung des Gesetzes über den Hexenzauber einzusetzen, mit dem Menschen bösen Willens gegen Medien vorgehen wollten. Dies sei seine letzte Pflicht gewesen, und in seiner Pflichttreue sei er nie wankend geworden. Das habe sich in jedem Bereich seines Lebens gezeigt. Der Schriftsteller Doyle, der Dramatiker Doyle, der Boxer Doyle, der Cricketspieler Doyle, der einst selbst den großen W. G. Grace geschlagen hatte, der weitgereiste Doyle – sie waren vielen bekannt. Doch größer als sie alle war der Doyle, der für die Gerechtigkeit kämpfte, wenn Unschuldige leiden mussten. Dank seines Einflusses war das Gesetz über die Revision in Strafsachen verabschiedet worden. Dieser Doyle hatte sich mit so triumphalem Erfolg für Edalji und Slater eingesetzt.
    Bei der Nennung seines Namens schaut George instinktiv zu Boden, blickt dann stolz wieder auf, dann verstohlen zur Seite. Es ist schade, dass man ihn wieder einmal mit diesem gemeinen und undankbaren Verbrecher in Verbindung gebracht hat; doch er darf sich wohl redlich freuen, dass sein Name bei diesem großen Anlass genannt wurde. Maud wird sich auch freuen. Er schaut seine Nachbarn jetzt freimütiger an, doch er

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