Arthur & George
ihm in einer dringenden geistlichen Angelegenheit zur Seite zu stehen, die womöglich Exorzismus erforderlich mache und von der die Frau des Pfarrers offenbar gar nichts weiß. Hier ist Ihr Brief, hier Ihre Unterschrift. Shapurji erklärt und entschuldigt sich. Der Hilfspfarrer bittet um Erstattung seiner Auslagen.
Als Nächstes wird das Hausmädchen nach Wolverhampton gerufen, um sich den Leichnam ihrer nicht existenten Schwester anzuschauen, der angeblich in einem Wirtshaus liegt. Eine Vielzahl von Waren – fünfzig Leinenservietten, zwölf junge Birnbäume, eine Rinderlende, sechs Kisten Champagner, fünfzehn Gallonen schwarzer Farbe – werden angeliefert und müssen zurückgesandt werden. In Zeitungen erscheinen Annoncen, die das Pfarrhaus zu seinem derart geringen Mietzins offerieren, dass es Scharen von Interessenten gibt. Stallungen werden angeboten, desgleichen Pferdedung. Briefe werden im Namen des Pfarrers an Privatdetektive gesandt, um deren Dienste in Anspruch zu nehmen.
Nach Monaten solcher Verfolgungen entschließt sich Shapurji zum Gegenangriff. Er setzt selbst eine Annonce auf, in der er die jüngsten Ereignisse darstellt und die anonymen Briefe samt Handschrift, Stil und Inhalt schildert; er macht genaue Angaben über Zeit und Ort ihrer Aufgabe. Er bittet die Zeitungen, Ansuchen in seinem Namen zurückzuweisen, die Leser, jeden möglichen Verdacht zu melden, und die Täter, ihr Gewissen zu prüfen.
Zwei Tage darauf liegt nachmittags eine zerbrochene Suppenterrine auf der Küchentreppe; in der Terrine ist eine tote Amsel. Am nächsten Tag kommt ein Gerichtsvollzieher und will Wertgegenstände zugunsten einer imaginären Schuld beschlagnahmen. Später trifft ein Schneider aus Stafford ein, um Maud ein Brautkleid anzumessen. Als man ihm wortlos Maud vorführt, erkundigt er sich höflich, ob diese Kinderehe mit einer Hindu-Zeremonie geschlossen werde. Mitten in dieser Szene kommen fünf Öljacken für George an.
Und nach einer Woche drucken dann drei Zeitungen eine Antwort auf den Appell des Pfarrers ab. Sie steht in einem schwarzen Kasten und ist mit Entschuldigung überschrieben. Sie lautet:
Wir, die Unterzeichneten, beide in der Gemein de Great Wyrley ansässig, erklären hiermit, dass wir die alleinigen Verfasser und Urheber gewis ser beleidigender und anonymer Briefe sind, die verschiedene Personen in den vergangenen zwölf Monaten empfangen haben. Wir bedauern diese Äußerungen wie auch Äußerungen gegen Mr Upton, den Polizei-Sergeanten von Cannock, und gegen Elizabeth Foster. Wir haben wie ge wünscht unser Gewissen geprüft und bitten alle Beteiligten wie auch die höheren Mächte der geistigen wie kriminalistischen Art um Ver gebung.
Gez. G. E. T. Edalji und Fredk. Brookes.
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Arthur
Arthurs Motto war, genau hinzuschauen – in das milchiggrüne Auge eines sterbenden Wals, auf den Mageninhalt eines erlegten Vogels, in das erschlaffte Gesicht eines Leichnams, der nie sein Schwager werden sollte. Dieses Hinschauen durfte nicht voreingenommen sein: Für einen Arzt war das eine praktische Notwendigkeit und für einen Menschen ein moralischer Imperativ.
Er erzählte gern, wie man ihm im Hospital von Edinburgh beigebracht hatte, sorgfältig hinzuschauen. Ein Arzt dort, Joseph Bell, hatte Gefallen an diesem großen und schwärmerischen jungen Mann gefunden und Arthur zum Sekretär seiner Ambulanz ernannt. Seine Aufgaben bestanden darin, die Patienten aufzurufen, sich erste Notizen zu machen und die Patienten dann in Mr Bells Zimmer zu führen, wo der Arzt im Kreis seiner Assistenten saß. Bell begrüßte die einzelnen Patienten und versuchte, aus einer stummen, doch intensiven Musterung so viel wie möglich über ihr Leben und ihre Gewohnheiten abzuleiten. Zum Erstaunen der Anwesenden, nicht zuletzt des Patienten selbst, verkündete er dann etwa, dieser Mann sei Schellackpolierer von Beruf, jener ein linkshändiger Schuster. Ein solches Gespräch blieb Arthur in Erinnerung:
»Nun, guter Mann, Sie haben in der Armee gedient.«
»Jawohl, Sir.«
»Erst kürzlich entlassen?«
»Jawohl, Sir.«
»Ein Hochland-Regiment?«
»Jawohl, Sir.«
»In Barbados stationiert?«
»Jawohl, Sir.«
Es war ein Trick, aber ein wahrhaftiger Trick; geheimnisvoll zunächst, doch einfach, wenn er einmal erläutert worden war.
»Sehen Sie, meine Herren, dieser Mann war ehrerbietig, hat aber seinen Hut nicht abgenommen. Das ist in der Armee so üblich, doch wäre er seit langem entlassen gewesen, hätte
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