Arthur & George
Verfolgung beschließt Shapurji, sich noch einmal an den Chief Constable zu wenden. Er verfasst einen Bericht über die Ereignisse, fügt Beispiele der Briefe bei, weist höflich darauf hin, dass nunmehr eindeutige Mordabsichten geäußert werden, und bittet die Polizei um Schutz für eine derart bedrohte unschuldige Familie. Auf diese Bitte geht Captain Ansons in seiner Antwort nicht ein. Stattdessen schreibt er:
Ich behaupte nicht, den Namen des Täters zu kennen, obwohl ich einen bestimmten Verdacht hege. Diesen Verdacht will ich für mich behalten, bis ich Beweise dafür habe, und ich bin zuversichtlich, dass ich dem Täter eine gehörige Zuchthausstrafe ver schaffen kann; denn obwohl offenbar große Mühe darauf verwandt wurde, möglichst alles zu vermeiden, das einen ernsthaften strafrechtlichen Verstoß darstel len würde, ist der Verfasser in zwei oder drei Fällen zu weit gegangen, sodass er sich der schärfsten Strafe aussetzt. Ich habe keinen Zweifel, dass der Täter er mittelt wird.
Shapurji zeigt den Brief seinem Sohn und bittet ihn um seine Meinung. »Einerseits«, sagt George, »behauptet der Chief Constable, der Urheber der üblen Streiche setze geschickt seine Rechtskenntnisse ein, um eine wirkliche Straftat zu vermeiden. Andererseits meint er anscheinend, es seien bereits eindeutige Straftaten begangen worden, die eine Zuchthausstrafe nach sich ziehen können. In dem Fall wäre der Urheber der Streiche dann doch kein so schlauer Bursche.« Er hält inne und sieht seinen Vater an. »Er meint natürlich mich. Er glaubt, ich hätte den Schlüssel gestohlen, und nun glaubt er, ich hätte die Briefe geschrieben. Er weiß, dass ich Jura studiere – der Zusammenhang ist eindeutig. Ehrlich gesagt, Vater, ich glaube, von dem Chief Constable droht mir mehr Gefahr als vom Urheber der Streiche.«
Shapurji ist sich da nicht so sicher. Der eine droht mit Zuchthaus, der andere mit dem Tod. Er hat große Mühe, keine Bitterkeit gegen den Chief Constable in sich aufkommen zu lassen. Die schändlichsten Briefe hat er George noch immer nicht gezeigt. Ob Anson wirklich glaubt, George habe sie geschrieben? Wenn ja, hätte er gerne erfahren, inwiefern es strafbar ist, einen anonymen Brief an sich selbst zu schreiben und damit zu drohen, sich selbst zu ermorden. Er sorgt sich Tag und Nacht um seinen Erstgeborenen. Er schläft schlecht und verlässt oft das Bett, um sich eilig und unnötigerweise zu vergewissern, dass die Tür verschlossen ist.
Im Dezember 1895 erscheint in einer Blackpooler Zeitung eine Annonce, in der die gesamte Einrichtung des Pfarrhauses zum Verkauf durch öffentliche Versteigerung angeboten wird. Es gebe keinerlei Mindestgebot, da dem Pfarrer und seiner Frau daran gelegen sei, vor ihrer nahe bevorstehenden Abreise nach Bombay alles zu veräußern.
Blackpool liegt in gerader Linie mindestens hundert Meilen entfernt. Shapurji hat eine Vision, wie sich die Nachstellungen über das ganze Land ausbreiten. Womöglich ist Blackpool erst der Anfang: als Nächstes kommen Edinburgh, Newcastle, London. Und dann Paris, Moskau, Timbuktu – warum nicht?
Und dann hört es, so plötzlich, wie es begonnen hat, wieder auf. Keine Briefe mehr, keine unerwünschten Lieferungen, keine falschen Annoncen, keine aufgebrachten Brüder in Christo vor der Haustür. Einen Tag lang, dann eine Woche, dann einen Monat, dann zwei Monate. Es hört auf. Es hat aufgehört.
[Menü]
Zwei
Anfang mit einem Ende
[Menü]
George
Das Ende der Verfolgungen fällt in denselben Monat wie der zwanzigste Jahrestag von Shapurji Edaljis Berufung nach Great Wyrley; danach wird das zwanzigste – nein, einundzwanzigste – Weihnachtsfest im Pfarrhaus gefeiert. Maud bekommt ein gesticktes Lesezeichen geschenkt, Horace eine eigene Ausgabe von Vaters Vorlesungen über den Brief des Paulus an die Galater, George einen Sepiadruck von Mr Holman Hunts Das Licht der Welt mit der Anregung, das Bild in seinem Büro aufzuhängen. George bedankt sich bei seinen Eltern, kann sich aber gut vorstellen, was seine Vorgesetzten denken würden: dass ein Rechtspraktikant, der erst seit zwei Jahren in der Kanzlei und im Wesentlichen mit der Reinschrift von Dokumenten betraut ist, wohl kaum über die Einrichtung der Räume zu befinden hat; und weiter, dass ein Mandant bei einem Solicitor Beistand einer bestimmten Art sucht und Mr Hunts Werbung für eine andere Art durchaus verwirrend finden könnte.
Während die ersten Monate des neuen Jahres vergehen, werden
Weitere Kostenlose Bücher