Arthur & George
Datum, George, denk an das Datum.«
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Arthur
Arthur schrieb nun schon professioneller. Während er an literarischer Statur gewann, entwickelten sich seine Geschichten zu Romanen, von denen die besten naturgemäß im heroischen vierzehnten Jahrhundert spielten. Jede Seite dieser Werke wurde Touie nach dem Abendessen laut vorgelesen und der fertige Text dann zur Begutachtung an die Mama gesandt. Außerdem stellte Arthur einen Sekretär und Amanuensis ein: Alfred Wood, ein Lehrer von der Portsmouth School, ein manierlicher und tüchtiger Bursche mit einem ehrlichen Apothekergesicht und zugleich ein vielseitiger Sportler mit einem äußerst anständigen Cricketarm.
Noch aber blieb die Medizin Arthurs Broterwerb. Und wenn er in diesem Beruf weiterkommen wollte, war es an der Zeit, sich zu spezialisieren. Er hatte sich sein Leben lang viel auf sein sorgfältiges Hinschauen zugute gehalten und brauchte daher keine Eingebung von Geisterstimmen oder in die Luft springenden Tischen, um zu erkennen, zu welchem Fachgebiet er berufen war – Augenheilkunde. Er neigte nicht zu Halbheiten und langem Gefackel und wusste sofort, wo er sich am besten weiterbilden konnte.
»Wien?«, wiederholte Touie verwundert, denn sie war nie aus England herausgekommen. Es war jetzt November; der Winter stand vor der Tür; Klein-Mary konnte schon etwas laufen, wenn man sie an der Schärpe festhielt. »Wann reisen wir ab?«
»Sofort«, antwortete Arthur.
Und Touie, die Gute, stand nur von ihrer Handarbeit auf und sagte leise: »Dann muss ich mich beeilen.«
Sie lösten den Haushalt auf, gaben Mary zu Mrs Hawkins und brachen für sechs Monate nach Wien auf. Arthur schrieb sich für klinische Vorlesungen in Augenheilkunde ein, doch wie er bald erkannte, war das Deutsch, das er bei seinen Spaziergängen von österreichischen Schuljungen mit einer oft nicht sehr gewählten Ausdrucksweise gelernt hatte, keine ausreichende Vorbereitung für rasche, mit Fachbegriffen gespickte Vorträge. Aber der österreichische Winter bot ausgezeichnete Gelegenheiten zum Schlittschuhlaufen und die Stadt vortrefflichen Kuchen; nebenbei schrieb Arthur sogar noch den Kurzroman The Doings of Raffles Haw , mit dem sich all ihre Wiener Ausgaben begleichen ließen. Nach ein paar Monaten gab Arthur jedoch zu, dass er in London mehr gelernt hätte. Touie reagierte auf die Änderung der Pläne wie üblich mit Gleichmut und raschem Handeln. Sie kehrten über Paris zurück, wo Arthur sich noch ein paar Tage von Landolt unterweisen ließ.
So konnte er mit Fug und Recht auf eine Ausbildung in zwei Ländern verweisen, mietete Räumlichkeiten am Devonshire Place an, wurde in die Ophthalmological Society aufgenommen und wartete auf Patienten. Auch hoffte er, die Kapazitäten seines Fachs würden Patienten an ihn überweisen, da sie oft zu beschäftigt waren, um selbst Refraktionsbestimmungen durchzuführen. Für manche war das bloße Kärrnerarbeit, doch Arthur hielt sich auf dem Gebiet für kompetent und vertraute darauf, dass überlastete Kollegen solche Aufgaben an ihn weiterreichten.
Die Praxis am Devonshire Place bestand aus einem Wartezimmer und einem Sprechzimmer. Nach ein paar Wochen begann Arthur jedoch zu scherzen, es seien beides Wartezimmer, und der Wartende sei er, Arthur. Da ihm Müßiggang widerstrebte, setzte er sich hin und schrieb. Er beherrschte das literarische Spiel inzwischen gut und wandte sich der neuesten Manie zu: Zeitschriftenromane. Arthur löste gern Probleme, und dieses Problem sah so aus: Die Zeitschriften veröffentlichten zwei Arten von Geschichten – lange Fortsetzungsromane, die die Leserschaft Woche um Woche und Monat um Monat in ihren Bann zogen, oder aber einzelne, eigenständige Erzählungen. Die Erzählungen hatten den Nachteil, dass sie oft nur magere Kost boten. Die Fortsetzungsromane hatten den Nachteil, dass man keine einzige Nummer verpassen durfte, sonst konnte man der Handlung nicht mehr folgen. Arthur ging das Problem von der praktischen Seite an und gedachte die Vorzüge beider Formen zu vereinen: eine Folge von Geschichten, die jeweils in sich abgeschlossen, jedoch durch gleichbleibende Figuren miteinander verbunden waren, die beim Leser immer wieder Sympathie oder Missfallen erregten.
Er brauchte daher einen Protagonisten, der regelmäßig die vielfältigsten Abenteuer erleben konnte. Also schieden die meisten Berufe von vornherein aus. Als er am Devonshire Place hin und her überlegte, fragte er sich, ob er den passenden
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