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Arthur & George

Arthur & George

Titel: Arthur & George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Barnes
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kleinste Geräusch weckt mich auf.«
    »Aber wenn Sie nie von dem Geräusch des sich drehenden Schlüssels geweckt wurden, dann ist es doch durchaus möglich, dass der Schlüssel gedreht wurde und Sie nicht aufgewacht sind.«
    »Wie ich bereits sagte, das ist nie vorgekommen.«
    George beobachtete seinen Vater als gehorsamer, ängstlicher Sohn, aber zugleich auch als sachkundiger Solicitor und besorgter Angeklagter. Sein Vater machte seine Sache nicht gut. Mr Disturnal ließ ihn nach seiner Pfeife tanzen.
    »Mr Edalji, Sie haben in Ihrer Aussage erklärt, Sie seien um fünf Uhr aufgewacht und nicht wieder eingeschlafen, bis Sie und Ihr Sohn um halb sieben aufgestanden sind?«
    »Zweifeln Sie an meinen Worten?«
    Mr Disturnal zeigte sich nicht erfreut über diese Antwort; doch George wusste, dass sie ihm insgeheim bestimmt Vergnügen bereitete.
    »Nein, ich bitte Sie nur um eine Bestätigung dessen, was Sie bereits gesagt haben.«
    »Dann bestätige ich es.«
    »Sie sind nicht vielleicht zwischen fünf und halb sieben noch einmal eingeschlafen und später wieder aufgewacht?«
    »Ich sagte doch, nein.«
    »Träumen Sie je, Sie würden aufwachen?«
    »Ich kann Ihnen nicht folgen.«
    »Haben Sie Träume, wenn Sie schlafen?«
    »Ja. Manchmal.«
    »Und träumen Sie manchmal, Sie würden aufwachen?«
    »Ich weiß es nicht. Ich kann mich nicht daran erinnern.«
    »Aber Sie bestreiten nicht, dass Menschen manchmal träumen, sie würden aufwachen?«
    »Ich habe noch nie darüber nachgedacht. Es erscheint mir nicht wichtig, was andere Menschen träumen.«
    »Aber Sie glauben mir, wenn ich sage, dass andere Menschen solche Träume haben?«
    Der Pfarrer glich nun einem Einsiedler in der Wüste, den man in Versuchungen von einer Art führt, die ihm ganz und gar unbegreiflich ist. »Wenn Sie es sagen.« George war Mr Disturnals Vorgehensweise ebenfalls ein Rätsel; doch bald wurde deutlicher, was der Vertreter der Anklage beabsichtigte.
    »Sie sind also so sicher, wie Sie nach menschlichem Ermessen nur sein können, dass Sie zwischen fünf Uhr und halb sieben wach waren?«
    »Ja.«
    »Und daher ebenso sicher, dass Sie in der Zeit zwischen elf und fünf Uhr schliefen?«
    »Ja.«
    »Sie erinnern sich nicht, während dieser Zeit aufgewacht zu sein?«
    Georges Vater sah ihn an, als werde abermals an seinen Worten gezweifelt.
    »Nein.«
    Mr Disturnal nickte. »Sie haben also zum Beispiel um halb zwei geschlafen. Um …« – er schien die Zeiten aus der Luft zu greifen – »… halb drei, zum Beispiel. Um halb vier, zum Beispiel. Ja, danke. Nun, um zu einem anderen Punkt zu kommen …«
    Und so ging es immer weiter, und Georges Vater verwandelte sich vor den Augen des Gerichts in einen senilen Greis, der ebenso unzuverlässig wie zweifellos ehrenwert war; in einen Mann, dessen seltsames Bemühen um häusliche Sicherheit sein schlauer Sohn, der sich im Zeugenstand eben erst so selbstbewusst gezeigt hatte, leicht hätte durchkreuzen können. Oder vielleicht noch schlimmer: in einen Vater, der den Verdacht hatte, sein Sohn habe womöglich etwas mit diesen Gräueltaten zu tun, und der seine Aussagen fortwährend eifrig, aber ungeschickt veränderte.
    Danach kam Georges Mutter an die Reihe, die umso aufgeregter war, als sie ihren Mann gerade so fehlbar erlebt hatte wie nie zuvor. Nachdem Mr Vachell sie vernommen hatte, vernahm Mr Disturnal sie wie aus reiner Höflichkeit noch einmal von vorn. Er zeigte nur geringes Interesse an ihren Antworten; er war nun nicht mehr der gnadenlose Ankläger, sondern eher so etwas wie ein neuer Nachbar, der auf einen Höflichkeitsbesuch zum Tee hereinschaut.
    »Sie waren immer sehr stolz auf Ihren Sohn, Mrs Edalji?«
    »O ja, sehr stolz.«
    »Und er war immer ein gescheiter Junge und ein gescheiter junger Mann?«
    »O ja, sehr gescheit.«
    Mr Disturnal heuchelte salbungsvoll tiefe Anteilnahme an dem Kummer, den es Mrs Edalji bereiten musste, sich und ihren Sohn jetzt in dieser Lage zu sehen.
    Das war keine Frage, doch Georges Mutter fasste es automatisch als solche auf und begann, ihren Sohn zu rühmen. »Er war immer ein fleißiger Junge. In der Schule hat er viele Preise gewonnen. Er hat am Mason College in Birmingham studiert und wurde von der Law Society mit einer Medaille ausgezeichnet. Sein Buch über das Eisenbahnrecht fand in vielen Zeitungen und juristischen Fachzeitschriften ein sehr gutes Echo. Es erschien nämlich in der Reihe von Wilson’s Legal Handy Books.«
    Mr Disturnal leistete diesem

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