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Arthur & George

Arthur & George

Titel: Arthur & George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Barnes
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vulgäre Vorfreude auf ein Theaterschauspiel. Mr Vachell sah ihn an und lächelte ihm zu, das erste Mal, dass er so etwas in der Öffentlichkeit tat. George wusste nicht, ob er den Gruß auf dieselbe Art erwidern sollte, und begnügte sich schließlich mit einem leichten Neigen des Kopfes. Er sah zu den Geschworenen hinüber, zwölf aufrechten und redlichen Staffordshire-Männern, die auf ihn von Anfang an einen anständigen und soliden Eindruck gemacht hatten. Er bemerkte Captain Anson und Inspector Campbell, seine beiden Ankläger. Allerdings nicht seine wahren Ankläger – die mochten draußen im Cannock Chase sein, sich an den Folgen ihres Tuns ergötzen und eben jetzt ihr Messer wetzen, das Mr Lewis zufolge eine gebogene Waffe mit konkaven Seiten war.
    Sir Reginald Hardy erteilte Mr Vachell das Wort, und dieser begann mit seinem Schlussplädoyer. Er forderte die Geschworenen auf, die sensationellen Aspekte dieses Falls – die Schlagzeilen in den Zeitungen, die Hysterie der Öffentlichkeit, die Gerüchte und unbewiesenen Behauptungen – außer Acht zu lassen und sich ganz auf die schlichten Tatsachen zu konzentrieren. Es gebe nicht den geringsten Beweis dafür, dass George Edalji in der Nacht vom 17 . zum 18 . August das Pfarrhaus verlassen habe – ein Gebäude, das von der Staffordshire Constabulary bereits seit Tagen streng überwacht worden sei. Es gebe nicht den geringsten Beweis dafür, dass er an dem ihm zur Last gelegten Verbrechen beteiligt gewesen sei: Die winzigen Blutflecken, die man entdeckt habe, könnten alle möglichen Ursachen haben und stünden in keinem Verhältnis zu den Verletzungen, die dem Grubenpony mit roher Gewalt zugefügt worden seien; und die Aussagen über die Haare, die sich angeblich auf der Kleidung des Angeklagten befunden hätten, gingen weit auseinander, und selbst wenn sich dort Haare befunden haben sollten, gebe es auch andere Erklärungen für ihr Vorhandensein. Dass die Anklage behaupte, die anonymen Briefe, in denen George Edalji denunziert wurde, seien von dem Angeklagten selbst verfasst worden, sei eine groteske Vermutung, die sowohl jeder Logik entbehre als auch jeder verbrecherischen Gesinnung widerspreche; und Mr Gurrins Gutachten stelle eine bloße Meinungsäußerung dar, von der die Geschworenen sich distanzieren dürften, ja distanzieren sollten.
    Anschließend ging Mr Vachell auf die verschiedenen Unterstellungen gegen seinen Mandanten ein. Seine Ablehnung einer Freilassung gegen Kaution zeuge von einer vernünftigen, um nicht zu sagen bewundernswerten Geisteshaltung: dem Bestreben eines guten Sohnes, seinen gebrechlichen und betagten Eltern die Bürde zu erleichtern. Man denke auch an die ominöse Angelegenheit mit John Harry Green. Die Anklage habe es so hinzustellen versucht, als sei George Edalji mit diesem im Bunde gewesen; es habe sich jedoch nicht die geringste Verbindung zwischen dem Angeklagten und Mr Green nachweisen lassen, dessen Nichterscheinen im Zeugenstand für sich spreche. In dieser wie auch in anderer Hinsicht habe die Anklage nichts als Fetzen und Flicken zu bieten gehabt, Andeutungen und versteckte Hinweise und Insinuationen, die sich in keinerlei Zusammenhang bringen ließen. »Was bleibt uns dann«, fragte er Verteidiger abschließend, »was bleibt uns dann nach vier Tagen in diesem Gerichtssaal als die zerbröselnden, zerschlagenen und in sich zusammengebrochenen Theorien der Polizei?«
    Als Mr Vachell dann wieder Platz nahm, war George zufrieden. Es war ein klares und wohlbegründetes Plädoyer gewesen, ohne die falschen emotionalen Appelle, in denen sich manche Anwälte gefielen; und es war höchst professionell gewesen – das heißt, George hatte gemerkt, an welchen Stellen sich Mr Vachell bei seinen Formulierungen und Folgerungen mehr Freiheiten herausgenommen hatte, als es bei Lord Hatherton in Saal A gestattet gewesen wäre.
    Mr Disturnal hatte es nicht eilig; er erhob sich und wartete dann gleichsam ab, bis die Wirkung von Mr Vachells Schlussplädoyer verklungen war. Dann nahm er die Fetzen und Flicken auf, von denen sein Gegner gesprochen hatte, und nähte sie geduldig wieder zusammen, bis er einen Umhang hatte, der um Georges Schultern passte. Er bat die Geschworenen, zunächst das Verhalten des Angeklagten zu betrachten und darüber nachzudenken, ob es das Verhalten eines Unschuldigen sei oder nicht. Die Weigerung, auf Inspector Campbell zu warten, und das Lächeln auf dem Bahnhof; die mangelnde Überraschung über seine

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