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Arthur & George

Arthur & George

Titel: Arthur & George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Barnes
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verstecken ihn nie? Haben ihn nie versteckt?«
    Georges Vater schien äußerst verwundert. »Ich verstehe nicht, warum Sie mir diese Frage stellen.«
    »Ich versuche lediglich festzustellen, ob der Schlüssel immer im Schloss steckt.«
    »Aber das sagte ich doch.«
    »Immer deutlich sichtbar? Niemals versteckt?«
    »Aber das sagte ich doch.«
    Als Georges Vater damals in Cannock seine Aussagen machte, waren die Fragen einfach und unkompliziert gewesen, und der Zeugenstand hätte auch eine Kanzel sein können, von der aus der Pfarrer von der wahren Existenz Gottes Zeugnis ablegte. Nun, im Verhör durch Mr Disturnal, wirkte er – und mit ihm die Welt – bereits fehlbarer.
    »Sie sagten, der Schlüssel quietscht, wenn er sich im Schloss dreht.«
    »Ja.«
    »Ist das eine neue Erscheinung?«
    »Ist was eine neue Erscheinung?«
    »Dass der Schlüssel im Schloss quietscht.« Der Vertreter der Anklage benahm sich, als helfe er einem alten Mann über einen Zauntritt. »Hat er das schon immer getan?«
    »So lange ich denken kann.«
    Mr Disturnal lächelte den Pfarrer an. Dieses Lächeln gefiel George nicht. »Und – in der ganzen Zeit – solange Sie denken können – ist nie jemand auf den Gedanken gekommen, das Schloss zu ölen?«
    »Nein.«
    »Darf ich fragen, Sir, und dies mag Ihnen als eine unbedeutende Frage erscheinen, aber ich hätte dennoch gern eine Antwort darauf – warum hat nie jemand das Schloss geölt?«
    »Ich nehme an, es erschien nie wichtig.«
    »Es lag nicht an mangelndem Öl?«
    Unklugerweise ließ der Pfarrer seine Verärgerung erkennen. »Nach unseren Ölvorräten sollten Sie lieber meine Frau fragen.«
    »Vielleicht werde ich das noch, Sir. Und dieses Quietschen, wie würden Sie es beschreiben?«
    »Wie meinen Sie das? Es ist ein Quietschen.«
    »Ist es ein lautes Quietschen oder ein leises Quietschen? Könnte man es zum Beispiel mit dem Quietschen einer Maus oder mit dem Knarren eines Scheunentors vergleichen?«
    Shapurji Edalji machte ein Gesicht, als wäre er in einen Tempel der Banalität geraten. »Ich würde es wohl als ein lautes Quietschen bezeichnen.«
    »Umso erstaunlicher vielleicht, dass das Schloss nicht geölt wurde. Doch sei dem, wie ihm wolle. Der Schlüssel quietscht laut, einmal am Abend, einmal am Morgen. Und bei anderen Gelegenheiten?«
    »Ich kann Ihnen nicht folgen.«
    »Ich meine, Sir, wenn Sie oder Ihr Sohn nachts das Schlafzimmer verlassen.«
    »Aber das tun wir beide nie.«
    »Das tun Sie beide nie. Wie ich höre, besteht dieses … Schlafarrangement nun seit sechzehn oder siebzehn Jahren. Sie wollen behaupten, während dieser gesamten Zeit habe keiner von Ihnen nachts je das Schlafzimmer verlassen?«
    »Ja.«
    »Sind Sie dessen ganz sicher?«
    Wieder trat eine lange Pause ein, als ginge der Pfarrer im Geiste sämtliche Jahre durch, Nacht für Nacht. »So sicher ich nur sein kann.«
    »Sie erinnern sich an jede einzelne Nacht?«
    »Ich vermag den Sinn dieser Frage nicht zu erkennen.«
    »Sir, ich bitte Sie nicht darum, ihren Sinn zu erkennen. Ich bitte Sie lediglich, sie zu beantworten. Erinnern Sie sich an jede einzelne Nacht?«
    Der Pfarrer sah sich im Gerichtssaal um, als erwartete er, dass ihn jemand vor dieser schwachsinnigen Katechese rettete. »Nicht mehr als andere Menschen auch.«
    »Genau. Sie haben ausgesagt, Sie hätten einen leichten Schlaf.«
    »Ja, sehr leicht. Ich wache schnell auf.«
    »Und, Sir, Sie haben ausgesagt, wenn man den Schlüssel im Schloss drehte, dann würde Sie das wecken?«
    »Ja.«
    »Sehen Sie nicht den Widerspruch in dieser Behauptung?«
    »Nein, den sehe ich nicht.« George merkte, wie sein Vater nervös wurde. Er war es nicht gewöhnt, dass man an seinen Worten zweifelte, wie liebenswürdig auch immer. Er wirkte alt und reizbar und nicht ganz Herr der Lage.
    »Dann will ich es Ihnen erläutern. In siebzehn Jahren hat niemand das Zimmer verlassen. Daher hat – Ihrer Aussage zufolge – niemand je den Schlüssel gedreht, während Sie schliefen. Wie kommen Sie dann zu der Behauptung, es würde Sie wecken, wenn man den Schlüssel drehte?«
    »Das ist Haarspalterei. Ich wollte damit sagen, dass mich das kleinste Geräusch aufweckt, das liegt doch auf der Hand.« Sein Ton klang jedoch eher trotzig als bestimmt.
    »Sie sind nie von dem Geräusch des sich drehenden Schlüssels aufgewacht?«
    »Nein.«
    »Sie können also nicht beschwören, dass das Geräusch Sie wecken würde?«
    »Ich kann nur wiederholen, was ich soeben gesagt habe. Das

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