Arthur & George
Festnahme; die Frage nach Blewitts toten Pferden; die Drohung gegen den geheimnisvollen Loxton; die Ablehnung einer Freilassung gegen Kaution und die zuversichtliche Voraussage, die Great-Wyrley-Bande werde erneut zuschlagen und somit seine Freilassung bewirken. War dies das Verhalten eines Unschuldigen, fragte Mr Disturnal, während er die einzelnen Teile für die Geschworenen neu zusammenfügte.
Die Blutflecken; die Handschrift; und dann zum wiederholten Mal die Kleidungsstücke. Die Kleidung des Angeklagten sei nass gewesen, vor allem sein Hausmantel und seine Stiefel. Das habe die Polizei festgestellt und unter Eid ausgesagt. Jeder Polizist, der den Hausmantel des Angeklagten untersucht habe, habe bezeugt, dass er nass gewesen sei. Falls das stimme und falls die Polizei sich nicht vollständig irre – und wie könnte oder sollte sie das? –, dann gebe es nur eine mögliche Erklärung: George Edalji hatte sich, wie die Anklage es ihm zur Last legte, heimlich aus dem Pfarrhaus in die stürmische Nacht vom 17 . zum 18 . August hinausgeschlichen.
Dennoch blieb trotz der erdrückenden Beweise für die massive Verstrickung des Angeklagten in das Verbrechen, ob nun allein oder in Gemeinschaft mit anderen, das gab Mr Disturnal zu, eine Frage, die nach einer Antwort verlangte. Was war sein Motiv? Die Geschworenen hatten jedes Recht, diese Frage zu stellen. Und Mr Disturnal war bereit, ihnen zu einer Antwort zu verhelfen.
»Wenn Sie sich nun fragen sollten, wie es andere in den vergangenen Tagen in diesem Gerichtssaal getan haben: Aber was war das Motiv des Angeklagten? Warum sollte ein nach außen hin ehrbarer junger Mann solch eine abscheuliche Tat begehen? Einem vernünftigen Beobachter fallen dazu verschiedene Erklärungen ein. Vielleicht hat der Angeklagte aus einem bestimmten Groll und einer konkreten bösartigen Absicht heraus gehandelt? Das ist möglich, wenn auch eher unwahrscheinlich – dafür waren die Opfer der Gräueltaten von Great Wyrley und der damit einhergehenden anonymen Verleumdungskampagne viel zu zahlreich. Könnte er aus Irrsinn gehandelt haben? Die unsägliche Barbarei seiner Taten legt diese Vermutung nahe. Und doch ist auch das keine hinreichende Erklärung, denn das Verbrechen war zu gut geplant und zu klug ausgeführt, als dass es von einem Irren hätte begangen sein können. Nein; wir müssen, so meine ich, die Beweggründe in einem Gehirn suchen, das nicht krank ist, sondern anders beschaffen als das gewöhnlicher Männer und Frauen. Nicht finanzieller Gewinn oder Rache an einem Einzelnen war das Motiv, sondern der Drang, bekannt zu werden, der Drang nach anonymer Wichtigtuerei, der Drang, der Polizei ständig und überall ein Schnippchen zu schlagen, der Drang, sich über die Gesellschaft lustig zu machen, der Drang, sich als überlegen zu erweisen. Genau wie Sie, meine Herren Geschworenen, habe ich, der ich von der Schuld des Angeklagten ebenso überzeugt bin wie auch Sie es sein werden, mir während dieses Verfahrens immer wieder die Frage gestellt – aber warum, warum? Und hier ist meine Antwort auf diese Frage. Es deutet offenbar tatsächlich alles auf einen Menschen hin, der diese Gräueltaten aus einer teuflischen Gerissenheit in einem Winkel seines Gehirns begangen hat.«
George, der mit leicht gesenktem Kopf zugehört hatte, um sich auf Mr Disturnals Ansprache zu konzentrieren, merkte, dass das Plädoyer beendet war. Er schaute auf und sah, dass der Ankläger dramatisch zu ihm herüberstarrte, als sehe er jetzt den Angeklagten endlich im vollen Licht der Wahrheit. Auch die Geschworenen musterten ihn, derart von Mr Disturnal ermächtigt, nun unverhohlen; ebenso Sir Reginald Hardy; ebenso der gesamte Gerichtssaal mit Ausnahme seiner Familie. Vielleicht suchten Police Constable Dubbs und der andere Constable hinter ihm in der Anklagebank schon nach weiteren Blutflecken auf seiner Anzugjacke.
Der Vorsitzende begann um Viertel vor eins mit seiner Zusammenfassung und Rechtsbelehrung, wobei er die Gräueltaten als »Schandfleck auf dem Namen von Staffordshire« bezeichnete. Während George ihm zuhörte, war er sich ständig bewusst, dass zwölf aufrechte und redliche Männer bei ihm nach Anzeichen diabolischer List fahndeten. Dagegen konnte er nichts tun außer sich zu bemühen, einen möglichst gleichmütigen Eindruck zu machen. So musste er in den letzten Minuten wirken, bevor sich sein Schicksal entschied. Sei gleichmütig, befahl er sich, sei gleichmütig.
Um zwei Uhr schickte
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