Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Arthur & George

Arthur & George

Titel: Arthur & George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Barnes
Vom Netzwerk:
der Rückkehr ins Gefängnis angespuckt und geschmäht zu werden, ein Unschuldiger, der nun in aller Öffentlichkeit als schuldig gebrandmarkt war. Aber vielleicht hatte dieser furchtbare Wandel nur in seinem eigenen Kopf stattgefunden. Das Verhalten der Beamten blieb aus einem einfachen und bedrückenden Grund gleich: Sie hatten ihn von Anfang an für schuldig gehalten, und die Entscheidung der Geschworenen hatte diese Annahme nur bestätigt.
    Am nächsten Morgen brachte man ihm aus Gefälligkeit eine Zeitung, sodass er ein letztes Mal sehen konnte, wie sein Leben zu Schlagzeilen gerann, seine Geschichte keine verschiedenen Versionen mehr hatte, sondern zu einem juristischen Tatbestand konsolidiert worden war, sein Charakter nicht mehr von ihm selbst bestimmt, sondern von anderen gezeichnet wurde.

    Teilnahmslos, aber automatisch überflog Georges auch den Rest der Seite. Die Geschichte von Miss Hickman, der Ärztin, hatte offenbar gleichfalls ein Ende gefunden und war in Schweigen und Mysterium abgetaucht. George nahm zur Kenntnis, dass Buffalo Bill nach einer Saison in London und einer 294 Tage dauernden Tournee durch die Provinz sein Programm in Burton-on-Trent beendet hatte und dann in die Vereinigten Staaten zurückgekehrt war. Und ebenso wichtig wie die Verurteilung des »Viehmörders von Wyrley« war der Gazette die Geschichte, die direkt daneben stand:
    EISENBAHNUNGLÜCK IN YORKSHIRE
    Zwei Züge im Tunnel zusammengestoßen – total zerstört
    Ein Toter, 23 Verletzte
    MANN AUS BIRMINGHAM WAR ZEUGE DES DRAMAS
    Er blieb noch zwölf Tage in Stafford inhaftiert, und während dieser Zeit durften ihn seine Eltern täglich besuchen. Für ihn war das qualvoller, als wenn man ihn in einen Viehwagen gesteckt und ans äußerste Ende des Königsreichs verbracht hätte. Bei diesem langen Abschiednehmen tat jeder so, als wäre Georges gegenwärtige Lage ein Fehler der Bürokratie, der bald durch einen Appell an die zuständige Stelle behoben werden würde. Der Pfarrer hatte viele Unterstützungsschreiben erhalten und sprach bereits begeistert von einer öffentlichen Kampagne. Für George grenzte dieser Eifer an Hysterie und ging auf ein schlechtes Gewissen zurück. Er selbst empfand seine Lage nicht als vorübergehend, und die Pläne seines Vaters brachten ihm keinen Trost. Sie schienen ihm vor allem ein Ausdruck religiösen Glaubens zu sein.
    Nach zwölf Tagen wurde George nach Lewes überführt. Dort bekam er eine neue Uniform aus grobem, beigefarbenem Leinen. Auf Brust und Rücken waren zwei breite Längsstreifen und dicke, plump aufgedruckte Pfeile. Man gab ihm schlecht sitzende Knickerbocker, schwarze Strümpfe und Stiefel. Ein Gefängnisbeamter erklärte ihm, er sei ein Stargast, und deshalb werde seine Strafe mit drei Monaten Iso beginnen – vielleicht auch länger, auf keinen Fall kürzer. Iso bedeute Einzelhaft. Jeder Stargast müsse so beginnen. George verstand das zunächst falsch: Er dachte, man bezeichnete ihn als Stargast, weil sein Fall eine traurige Berühmtheit erlangt hatte; vielleicht wurden die Täter bei besonders abscheulichen Verbrechen absichtlich von anderen Häftlingen ferngehalten, die ihre Wut an einem Pferdeverstümmler auslassen könnten. Aber nein: Stargast war einfach die Bezeichnung für einen Ersttäter. Wenn Sie wiederkommen, erklärte man ihm, werden Sie in die Mittelstufe eingeordnet, und wenn Sie häufiger hier sind, gelten Sie als Stammgast oder Profi. George sagte, er habe nicht die Absicht, wiederzukommen.
    Er wurde dem Gefängnisdirektor vorgeführt, einem alten Soldaten, der zu seiner Überraschung auf den vor ihm liegenden Namen sah und höflich fragte, wie er auszusprechen sei.
    » Aidlji , Sir.«
    »Ai-dl-ji«, wiederholte der Direktor. »Hier werden Sie allerdings nicht viel mehr als eine Nummer sein.«
    »Ja, Sir.«
    »Kirche von England, steht hier.«
    »Ja. Mein Vater ist Pfarrer.«
    »Aha. Ihre Mutter …« Der Direktor wusste anscheinend nicht, wie er die Frage formulieren sollte.
    »Meine Mutter ist Schottin.«
    »Aha.«
    »Mein Vater ist gebürtiger Parse.«
    »Jetzt bin ich im Bilde. Ich war in den achtziger Jahren in Bombay. Hübsche Stadt. Sie kennen sich dort gut aus, Ai-dl-ji?«
    »Leider bin ich nie aus England hinausgekommen, Sir. Ich war aber schon in Wales.«
    »Wales«, sagte der Direktor versonnen. »Da haben Sie mir etwas voraus. Solicitor, steht hier.«
    »Ja, Sir.«
    »An Solicitors herrscht derzeit eher Flaute bei uns.«
    »Verzeihung?«
    »Solicitors

Weitere Kostenlose Bücher