Arthur & George
– derzeit eher Flaute bei uns. Normalerweise haben wir einen oder zwei. In einem Jahr hatten wir mehr als ein halbes Dutzend, wie ich mich erinnere. Aber jetzt sind wir unseren letzten Solicitor vor ein paar Monaten losgeworden. Nicht, dass Sie viel Gelegenheit gehabt hätten, mit ihm zu sprechen. Sie werden noch merken, dass hier strenge Regeln herrschen, die auch strikt durchgesetzt werden, Mr Ai-dl-ji.«
»Ja, Sir.«
»Wir haben aber noch etliche Börsenmakler hier und auch einen Bankier. Ich sag immer, wer einen wahren Querschnitt der Bevölkerung sehen will, der sollte ins Gefängnis von Lewes kommen.« Dies sagte er gewohnheitsmäßig und wartete auf die übliche Wirkung. »Nicht, dass wir auch Adelige hier hätten, wie ich gleich hinzufügen möchte. Oder zurzeit« – mit einem Blick auf Georges Akte – »einen Geistlichen der Kirche von England. Hatten wir aber auch schon. Unzucht und dergleichen.«
»Ja, Sir.«
»Ich werde Sie jetzt nicht fragen, was Sie eigentlich getan haben oder warum Sie es getan haben oder ob Sie es getan haben oder ob eine Eingabe beim Innenministerium in Ihrem Fall mehr Aussicht auf Erfolg hat als eine Maus bei einem Mungo, weil das meiner Erfahrung nach alles Zeitverschwendung ist. Sie sind im Gefängnis. Verbüßen Sie Ihre Strafe, halten Sie sich an die Regeln, dann bekommen Sie keinen zusätzlichen Ärger.«
»Als Jurist bin ich an Regeln gewöhnt.«
George hatte das als neutrale Aussage gemeint, doch der Direktor sah ihn an, als hätte das auch eine freche Bemerkung sein können. Schließlich begnügte er sich mit einem knappen »Ganz recht«.
Es gab in der Tat viele Regeln. George stellte fest, dass die Gefängnisbeamten anständige Burschen waren, denen die Bürokratie jedoch auf Schritt und Tritt Steine in den Weg legte. Man durfte nicht mit anderen Gefangenen sprechen. Man durfte während der Andacht weder die Beine übereinanderschlagen noch die Arme verschränken. Alle vierzehn Tage durfte man baden, und nötigenfalls konnte bei den Gefangenen jederzeit eine Leibesvisitation sowie eine Durchsuchung ihrer Habe durchgeführt werden.
Am zweiten Tag kam ein Wärter in Georges Zelle und fragte, ob er Bettwäsche habe.
George hielt diese Frage für überflüssig. Es war offenkundig, dass er mehrfarbige Bettwäsche hatte, die der Beamte nicht übersehen konnte.
»Ja, vielen Dank.«
»Was soll das heißen, vielen Dank?«, fragte der Wärter mit mehr als einem Hauch von Aggressivität.
George dachte an seine Vernehmungen bei der Polizei zurück. Vielleicht war sein Ton zu ungeniert gewesen. »Ich wollte sagen, ja, die habe ich.«
»Dann müssen wir sie vernichten.«
Nun verstand er gar nichts mehr. Diese Regel hatte man ihm nicht erklärt. Er überlegte sich seine Antwort sorgfältig und achtete besonders auf seinen Ton.
»Entschuldigen Sie bitte, aber ich bin noch nicht lange hier. Warum sollten Sie meine Bettwäsche vernichten wollen, die eine Annehmlichkeit und doch gewiss auch notwendig ist?«
Der Wärter sah ihn an und begann dann langsam zu lachen. Er lachte so sehr, dass ein Kollege in die Zelle hereinschaute, ob auch alles in Ordnung war.
»Nicht Bettwäsche, Nummer 247 – Bettwanze.«
George lächelte vorsichtig zurück, da er nicht wusste, ob das Häftlingen nach den Anstaltsregeln erlaubt war. Vielleicht nur mit besonderer Genehmigung. Jedenfalls wurde die Geschichte im Gefängnis legendär und verfolgte ihn über alle kommenden Monate. Dieser Hindu hatte ein derart behütetes Leben geführt, dass er nicht einmal wusste, was eine Bettwanze war.
Dafür lernte er andere Unannehmlichkeiten kennen. Es gab keine richtigen Toiletten und keine Ungestörtheit dort, wo sie am nötigsten gebraucht wurde. Die Seife war von sehr schlechter Qualität. Auch verlangte eine idiotische Vorschrift, dass jedes Rasieren und Haareschneiden im Freien zu geschehen habe, was zur Folge hatte, dass sich viele Häftlinge – darunter auch George – eine Erkältung zuzogen.
Er gewöhnte sich rasch an den veränderten Lebensrhythmus. 5 : 45 Aufstehen. 6 : 15 Aufschluss, Einsammeln der Abortkübel, Aufhängen des Bettzeugs zum Lüften. 6 : 30 Austeilen des Werkzeugs, dann Arbeit. 7 : 30 Frühstück. 8 : 15 Bettzeug zusammenlegen. 8 : 35 Andacht. 9 : 05 Rückkehr. 9 : 20 Hofgang. 10 : 30 Rückkehr. Rundgang des Gefängnisdirektors und andere bürokratische Angelegenheiten. 12 Uhr Mittagessen. 13 : 30 Einsammeln der Blechnäpfe, danach Arbeit. 17 : 30 Abendessen, dann
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