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Arthur & George

Arthur & George

Titel: Arthur & George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Barnes
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Verbrechen war nicht furchtbarer als das vieler anderer; er konnte sich zwischen guter und schlechter Führung entscheiden, aber seinen eigentlichen Status konnte er sich nicht aussuchen. Selbst ein Solicitor war hier nichts Ungewöhnliches, wie der Direktor ihm bedeutet hatte. Er beschloss, so normal zu sein, wie es unter den gegebenen Umständen nur möglich war.
    Als George erfuhr, dass er sechs Monate statt nur drei in der Iso verbleiben würde, beklagte er sich nicht und fragte nicht einmal nach dem Grund. In Wirklichkeit hielt er das, was Zeitungen und Bücher »die Schrecken der Einzelhaft« nannten, für stark übertrieben. Er hatte lieber zu wenig Gesellschaft als zu viel von der falschen Sorte. Er durfte sich immer noch mit den Wärtern, dem Geistlichen und dem Direktor unterhalten, wenn dieser seine Runde machte, obwohl er abwarten musste, dass sie als Erste das Wort an ihn richteten. Er konnte seine Stimme bei der Andacht erheben, wo er die Choräle mitsang und in die Responsorien einstimmte. Auch während des Hofgangs war das Sprechen im Allgemeinen erlaubt, selbst wenn es nicht immer einfach war, mit dem Nebenmann eine gemeinsame Ebene finden.
    Darüber hinaus gab es in Lewes eine ausgezeichnete Bibliothek, und der Bibliothekar kam zweimal in der Woche, um ausgelesene Bücher mitzunehmen und Georges Regal wieder aufzufüllen. Pro Woche durfte er ein Lehrbuch und ein »Bibliotheksbuch« entleihen. Unter »Bibliotheksbuch« war alles vom populären Roman bis zu einem Klassikerband zu verstehen. George nahm sich vor, alle großen Werke der englischen Literatur zu lesen und die Geschichte der bedeutenden Nationen zu studieren. Selbstverständlich durfte er eine Bibel in seiner Zelle haben; allerdings stellte er mehr und mehr fest, dass es ihn nach vier Stunden mühseliger Plackerei mit Karton und Garn jeden Nachmittag nicht nach den Versen der Heiligen Schrift verlangte, sondern nach dem nächsten Kapitel von Sir Walter Scott. Wenn er in seiner Zelle eingeschlossen, in Sicherheit vor der übrigen Welt, einen Roman las und aus dem Augenwinkel seine leuchtend bunte Bettwäsche sah, hatte er bisweilen ein Gefühl der Ordnung, das fast schon an Zufriedenheit grenzte.
    Aus den Briefen seines Vaters erfuhr er, dass es einen allgemeinen Aufschrei der Empörung über seine Verurteilung gegeben hatte. Mr Voules hatte seinen Fall in der Truth aufgegriffen, und Mr R. D. Yelverton, ehemals Chief Justice der Bahamas und nunmehr Anwalt am Pump Court im Temple, hatte eine Petition aufgesetzt. Es wurden Unterschriften gesammelt, und viele Solicitors aus Birmingham, Dudley und Wolverhampton hatten bereits ihre Unterstützung zugesagt. George war gerührt, dass auch Greenway und Stentson zu den Unterzeichnern gehörten; sie waren doch immer ganz in Ordnung gewesen, diese zwei. Zeugen wurden befragt und Beurteilungen von Georges Charakter bei Lehrern, Berufskollegen und der Familie eingeholt. Mr Yelverton hatte sogar einen Brief von Sir George Lewis bekommen, dem derzeit bedeutendsten Anwalt für Strafsachen, der seiner wohlerwogenen Meinung Ausdruck gab, Georges Verurteilung sei grob fehlerhaft gewesen.
    Anscheinend war man von offizieller Seite zu seinen Gunsten vorstellig geworden, denn er durfte mehr Schriftstücke zu seinem Fall erhalten, als normalerweise gestattet worden wäre. Er las einige der Beurteilungen. Da war ein purpurroter Durchschlag von einem Brief des Bruders seiner Mutter, Onkel Stoneham aus The Cottage in Much Wenlock. »Wann immer ich meinen Neffen gesehen oder von ihm gehört habe (bis von diesen Widerwärtigkeiten die Rede war), fand ich ihn stets brav und hörte, dass er brav war und gescheit dazu .« Die Unterstreichung hatte etwas, das George zu Herzen ging. Nicht das Lob, das fand er peinlich, sondern die Unterstreichung. Hier kam wieder eine. »Als ich Mr Edalji kennenlernte, war er seit fünf Jahren ordiniert, und andere Geistliche stellten ihm sehr gute Zeugnisse aus. Unsere Freunde waren seinerzeit wie wir der Meinung, dass die Par sen ein sehr altes und kultiviertes Volk sind und viele gute Eigenschaften besitzen.« Und dann wieder in einem Postskriptum: »Mein Vater und meine Mutter gaben ihr volles Einverständnis zu der Heirat, und sie hingen sehr an meiner Schwester .«
    Als Sohn und Häftling konnte George bei diesen Worten die Tränen nicht zurückhalten; als Jurist hatte er seine Zweifel, wie viel Eindruck sie auf den Beamten im Innenministerium machen würden, den man letztendlich mit

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