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Arthur & George

Arthur & George

Titel: Arthur & George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Barnes
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Sir Reginald die Geschworenen zur Beratung, und George wurde in den Keller hinuntergeführt. Constable Dubbs bewachte ihn wie in den vergangenen vier Tagen mit dem leicht verlegenen Gebaren eines Mannes, der wusste, dass George wohl kaum entfliehen würde. Er hatte seinen Gefangenen mit Respekt behandelt und war kein einziges Mal grob zu ihm gewesen. Da man seine Äußerungen jetzt nicht mehr falsch auslegen konnte, begann George ein Gespräch mit ihm.
    »Constable, ist es Ihrer Erfahrung nach ein gutes oder ein schlechtes Zeichen, wenn die Geschworenen zu ihrer Entscheidung lange brauchen?«
    Dubbs dachte eine Weile nach. »Meiner Erfahrung nach, Sir, würde ich sagen, es könnte ein gutes oder auch ein schlechtes Zeichen sein. Entweder das eine oder das andere. Je nachdem.«
    »Ich verstehe«, sagte George. Im Allgemeinen sagte er nicht »ich verstehe«; diese Angewohnheit musste er wohl von den Barristern übernommen haben. »Und was ist, Ihrer Erfahrung nach, wenn die Geschworenen sich schnell entscheiden?«
    »Ah, also das, Sir, könnte entweder ein gutes oder ein schlechtes Zeichen sein. Kommt wirklich auf die Umstände an.«
    George erlaubte sich ein Lächeln, und das konnte Dubbs wie auch jeder andere so deuten, wie er wollte. Er meinte, wenn die Geschworenen schnell zurückkämen, dann müsste das – angesichts der Schwere der Vorwürfe und der Notwendigkeit, dass sich alle zwölf einig sein mussten – gut für ihn sein. Und eine lange Besprechung wäre auch nicht schlecht, denn je länger sie über den Fall berieten, desto klarer würden die wesentlichen Umstände zutage treten und Mr Disturnals wilde Ablenkungsmanöver durchschaut werden.
    Constable Dubbs schien ebenso überrascht wie George, als sie schon nach vierzig Minuten wieder hineingerufen wurden. Ein letztes Mal machten sie gemeinsam den Weg durch die düsteren Korridore und über die Treppe zur Anklagebank hinauf. Um Viertel vor drei stellte der Protokollführer dem Obmann die George wohlvertrauten Fragen.
    »Meine Herren Geschworenen, sind Sie zu einem einstimmigen Urteil gekommen?«
    »Ja, Sir.«
    »Halten Sie den Angeklagten George Ernest Thompson Edalji der Verstümmelung eines Pferdes, das Eigentum der Great Wyrley Colliery Company war, für schuldig oder nicht schuldig?«
    »Schuldig, Sir.«
    Nein, das ist falsch, dachte George. Er sah den Obmann an, einen weißhaarigen, schulmeisterlichen Herrn mit einem leichten Staffordshire-Akzent. Du hast das Falsche gesagt. Nimm es zurück. Du wolltest sagen, nicht schuldig. Das ist die richtige Antwort auf diese Frage. All das schoss George durch den Kopf, bis ihm bewusst wurde, dass der Obmann nicht wieder Platz genommen hatte und noch etwas sagen wollte. Ja, natürlich, er wollte seinen Fehler korrigieren.
    »Die Geschworenen sprechen sich in ihrem Urteil zugleich dafür aus, Gnade walten zu lassen.«
    »Mit welcher Begründung?«, fragte Sir Reginald Hardy, wobei er den Obmann anstarrte.
    »Aufgrund seiner Position.«
    »Seiner persönlichen Position?«
    »Ja.«
    Der Vorsitzende und die beiden anderen Richter zogen sich zur Beratung des Strafmaßes zurück. George brachte es kaum über sich, seine Familie anzusehen. Seine Mutter presste sich ein Taschentuch vor das Gesicht; sein Vater schaute dumpf vor sich hin. Maud, von der er erwartet hatte, sie würde in Tränen ausbrechen, überraschte ihn. Sie hatte sich ganz zu ihm umgewandt und blickte ihn eindringlich und liebevoll an. Wenn er diesen Blick im Gedächtnis bewahren könnte, dann wäre es ihm möglich, auch das Schlimmste zu überstehen.
    Doch ehe George weiterdenken konnte, richtete der Vorsitzende, der für seine Entscheidung nur wenige Minuten gebraucht hatte, das Wort an ihn.
    »George Edalji, das Urteil der Geschworenen ist richtig. Sie haben sich mit Rücksicht auf Ihre Position dafür ausgesprochen, Gnade walten zu lassen. Wir haben nun über das Strafmaß zu befinden. Dabei haben wir Ihre persönliche Position ebenso zu berücksichtigen wie die Bedeutung, die eine Strafe für Sie hat. Andererseits müssen wir auch an das Wohl der Grafschaft Stafford und des Bezirks Great Wyrley denken sowie an die Schande, die diese Zustände über die Gegend bringen. Sie werden zu einer Zuchthausstrafe von sieben Jahren verurteilt.«
    Eine Art untergründiges Murmeln ging durch den Gerichtssaal, ein heiseres und doch ausdrucksloses Raunen. George dachte: Nein, sieben Jahre, sieben Jahre überstehe ich nicht, selbst Mauds Blick kann mich nicht so

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