Arthur & George
der Überprüfung seines Falls betrauen würde. George war lebhaft optimistisch und zugleich vollkommen resigniert. Ein Teil von ihm wollte in seiner Zelle bleiben, Futtersäcke flechten, die Werke von Sir Walter Scott lesen, sich eine Erkältung holen, wenn ihm auf dem eiskalten Hof die Haare geschnitten wurden, und immer wieder den alten Scherz über die Bettwanzen hören. Er wollte das, weil er wusste, wahrscheinlich würde dies sein Schicksal sein, und mit seinem Schicksal fand man sich am besten ab, indem man es wollte. Der andere Teil von ihm, der morgen schon frei sein wollte, der seine Mutter und seine Schwester in die Arme schließen wollte, der vor aller Öffentlichkeit bestätigt sehen wollte, welch großes Unrecht ihm zugefügt worden war – das war der Teil, dem er keinen freien Lauf lassen durfte, denn er konnte ihm am Ende den größten Schmerz bereiten.
Darum bemühte er sich, gleichmütig zu bleiben, als er erfuhr, dass nun schon zehntausend Unterschriften gesammelt worden waren. An erster Stelle standen die des Präsidenten der Incorporated Law Society, die von Sir George Lewis und die von Sir George Birchwood, K. C. I. E. , der großen medizinischen Kapazität. Hunderte von Solicitors hatten unterschrieben, nicht nur aus der Gegend von Birmingham; des Weiteren Kronanwälte, Parlamentsabgeordnete – einschließlich der aus Staffordshire – und Bürger jeglicher politischer Couleur. Man hatte eidliche Erklärungen von Zeugen eingeholt, die gesehen hatten, wie Arbeiter und Schaulustige den Boden zertrampelten, auf dem Police Constable Cooper später Georges Stiefelabdrücke entdeckte. Mr Yelverton hatte auch eine vorteilhafte Erklärung von Mr Edward Sewell erhalten, einem Veterinär, den die Vertreter der Anklage konsultiert und dann nicht in den Zeugenstand gerufen hatten. Die Petition bildete zusammen mit den eidesstattlichen Versicherungen und den Zeugnissen »das Memorandum«, das an das Innenministerium gesandt werden sollte.
Im Februar ereignete sich zweierlei. Am 13 . des Monats berichtete der Cannock Advertiser , dass wieder ein Tier auf genau dieselbe Art verstümmelt worden war wie bei den früheren Gräueltaten. Vierzehn Tage später überreichte Mr Yelverton das Memorandum dem Innenminister, Mr Akers-Douglas. George erlaubte sich, in Hoffnung zu schwelgen. Im März ereignete sich wiederum zweierlei: Die Petition wurde abgewiesen, und George erhielt die Mitteilung, dass er nach Ablauf seiner sechs Monate Einzelhaft nach Portland überführt werden würde.
Den Grund für diese Verlegung erfuhr er nicht und fragte auch nicht danach. Er nahm an, man wolle ihm damit zu verstehen geben: Du machst jetzt weiter und verbüßt deine Strafe. Da ein Teil von ihm das immer erwartet hatte, konnte ein Teil von ihm – wenn auch kein großer – die Nachricht mit Gelassenheit aufnehmen. George sagte sich, er habe die Welt der Gesetze gegen die Welt der Regeln eingetauscht, und vielleicht seien beide nicht gar so verschieden. Im Gefängnis ging es schlichter zu, da Regeln keinen Spielraum für Interpretationen ließen; aber wahrscheinlich erschütterte ihn der Wechsel weniger als andere, die in ihrem früheren Leben nie etwas mit den Gesetzen zu tun gehabt hatten.
Die Zellen in Portland schienen ihm recht dürftig. Sie waren aus Wellblech und hatten in seinen Augen Ähnlichkeit mit Hundehütten. Auch die Belüftung war schlecht und erfolgte durch ein unten in die Tür gesägtes Loch. Es gab keine Glocken für die Gefangenen; wer einen Wärter zu sprechen wünschte, legte seine Mütze unter die Tür. Auf diese Art wurde auch der Appell durchgeführt. Wenn der Ruf »Mützen ab!« ertönte, legte man seine Mütze in das Lüftungsloch. Es gab jeden Tag vier solcher Appelle, doch da Mützenzählen nicht so akkurat war wie Menschenzählen, musste das mühselige Verfahren oftmals wiederholt werden.
Er bekam eine neue Nummer, D 462 . Der Buchstabe stand für das Jahr seiner Verurteilung. Das System fing mit dem neuen Jahrhundert an: 1900 war Jahr A; demnach war George im Jahr D, nämlich 1903 , verurteilt worden. Ein Aufnäher mit dieser Nummer und dem Strafmaß des Häftlings wurde auf der Jacke wie auch auf der Mütze getragen. Namen wurden hier häufiger gebraucht als in Lewes, aber der Aufnäher blieb dennoch das erste Erkennungszeichen. Also war George D 462 - 7 .
Wie üblich fand ein Gespräch mit dem Gefängnisdirektor statt. Dieser war zwar durchaus höflich, gab sich aber vom ersten Wort an
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