Arthur & George
kämen Sie nach Parkhurst. Es ist aber verboten, während der Haft den Glauben zu wechseln. Sonst hätten die Gefangenen aus purer Langeweile alle halbe Jahre ein anderes Gesangbuch.«
»Da erlebt der Rabbi in Parkhurst bestimmt so manche Überraschung.«
Der Geistliche lachte in sich hinein. »Seltsam, wie das Verbrecherleben einen Menschen zum Juden machen kann.«
George entdeckte, dass nicht nur Juden nach Parkhurst kamen; auch Kranke und solche, die als nicht ganz richtig im Kopf galten, wurden dorthin geschickt. Man durfte in Portland zwar nicht die Religion wechseln, doch wenn man körperlich oder geistig zusammenbrach, konnte man verlegt werden. Wie es hieß, stießen sich manche Häftlinge absichtlich die Spitzhacke in den Fuß oder taten, als wären sie nicht ganz richtig im Kopf – sie heulten wie Hunde und rissen sich büschelweise Haare aus –, um so ihre Verlegung zu erwirken. Die meisten kamen stattdessen in den Bau und wurden mit ein paar Tagen bei Brot und Wasser belohnt.
»Portland hat eine äußerst gesunde Lage«, schrieb George an seine Eltern. »Die Luft ist sehr kräftig und frisch, und es gibt kaum Krankheiten.« Er hätte ebenso gut eine Postkarte aus Aberystwyth schreiben können. Aber es stimmte sogar, und er musste jeden nur möglichen Trost für sie finden.
Er gewöhnte sich rasch an die beengte Unterkunft und meinte, Portland sei besser als Lewes. Es gab weniger Bürokratie und keine idiotischen Vorschriften über Rasieren und Haareschneiden im Freien. Auch die Regelungen hinsichtlich der Gespräche zwischen den Häftlingen waren lockerer. Zudem war das Essen besser. Er konnte seinen Eltern mitteilen, dass es jeden Tag etwas anderes zum Mittagessen und zwei verschiedene Suppen gab. Das Brot war aus Vollkornmehl – »besser als Bäckersbrot«, schrieb er, nicht in dem Bemühen, die Zensur zu umgehen oder sich lieb Kind zu machen, sondern als Ausdruck seiner ehrlichen Meinung. Es gab auch grünes Gemüse und Salat. Der Kakao war ausgezeichnet, während der Tee zu wünschen übrigließ. Doch wer keinen Tee wollte, konnte Porridge oder Haferschleim bekommen, und zu Georges Erstaunen zogen viele minderwertigen Tee einer nahrhafteren Speise vor.
Er konnte seinen Eltern berichten, er habe reichlich warme Unterwäsche, desgleichen Pullover, Gamaschen und Handschuhe. Die Bibliothek war sogar besser als die in Lewes, und die Ausleihbedingungen waren großzügiger: Er durfte jede Woche zwei »Bibliotheksbücher« und zusätzlich vier Lehrbücher entleihen. Sämtliche führenden Zeitschriften standen in gebundener Form zur Verfügung, allerdings wurden sowohl Bücher als auch Zeitschriften von der Gefängnisverwaltung von allem Unliebsamen gereinigt. George lieh sich eine Geschichte der neueren britischen Kunst aus und musste feststellen, dass das amtliche Rasiermesser alle Illustrationen zu Werken von Sir Lawrence Alma-Tadema fein säuberlich entfernt hatte. Vorne im Band stand dieselbe Mahnung wie in jedem aus der Bibliothek entliehenen Buch: »Keine Seiten umknicken!« Ein Gefängnis-Witzbold hatte darunter geschrieben: »Und keine rausreißen!«
Mit der Hygiene war es nicht besser, aber auch nicht schlechter bestellt als in Lewes. Wer eine Zahnbürste haben wollte, musste dies beim Direktor beantragen, der anscheinend nach einem persönlichen, wunderlichen System mal ja und mal nein sagte.
Eines Morgens brauchte George etwas zum Polieren von Metall und fragte einen Wärter, ob er möglicherweise Putzwolle bekommen könne.
»Putzwolle, D 462 !«, erwiderte der Beamte, wobei die Augenbrauen bis zu seiner Mütze hinaufhüpften. »Putzwolle! Sie ruinieren noch den ganzen Betrieb – demnächst wollen Sie noch alles mögliche Putzwerk haben!«
Und damit war die Sache erledigt.
George zupfte jeden Tag Kokosfasern und Haare; er machte seinen Hofgang wie geheißen, wenn auch ohne großen Eifer; er entlieh so viele Bücher aus der Bibliothek wie gestattet. Seit Lewes war er es gewöhnt, nur mit einem Messer aus Blech und einem Holzlöffel zu essen und dass das Messer gegen das gefängnisübliche Rind- und Hammelfleisch oft nichts ausrichten konnte. Er vermisste die Gabel ebenso wenig wie die Zeitungen. Ja, er sah das Ausbleiben von Tageszeitungen als Vorteil an: Ohne diesen täglichen Einbruch der Außenwelt verging ihm die Zeit leichter. Nun geschah alles, was sich in seinem Leben ereignete, innerhalb der Gefängnismauern. Eines Morgens gelang es einem Insassen – C 183 , wegen Raubes zu
Weitere Kostenlose Bücher