Arthur & George
weniger ermutigend als sein Kollege in Lewes. »Sie sollten wissen, dass jeder Fluchtversuch sinnlos ist. Aus Portland Bill ist noch kein Mensch entflohen. Sie verspielen nur jeden Straferlass und lernen die Freuden der Einzelhaft kennen.«
»Wahrscheinlich bin ich der Letzte im ganzen Gefängnis, der einen Fluchtversuch unternehmen würde.«
»Das habe ich schon öfter gehört«, sagte der Direktor. »Ja, es gibt nichts, das ich nicht schon gehört hätte.« Er sah auf Georges Akte hinunter. »Religion. Hier steht Kirche von England.«
»Ja, mein Vater …«
»Sie können jetzt nicht wechseln.«
Diese Bemerkung war George unverständlich. »Ich habe nicht das Verlangen, meine Religion zu wechseln.«
»Gut. Nun, Sie können es sowieso nicht. Glauben Sie nicht, Sie könnten den Geistlichen beschwatzen. Das ist reine Zeitverschwendung. Verbüßen Sie Ihre Strafe und gehorchen Sie den Wärtern.«
»Das war immer meine Absicht.«
»Dann sind Sie entweder klüger oder törichter als die meisten anderen.« Mit dieser rätselhaften Bemerkung machte der Direktor ein Zeichen, George abführen zu lassen.
Seine Zelle war kleiner und schäbiger als die in Lewes, auch wenn ein Wärter, der in der Armee gedient hatte, ihm versicherte, es sei hier besser als in einer Kaserne. George hatte keine Ahnung, ob das stimmte oder als Trost gemeint war, den er nicht überprüfen konnte. Zum ersten Mal in seiner Gefängnislaufbahn wurden ihm die Fingerabdrücke abgenommen. Er fürchtete den Moment, wenn der Arzt seine Arbeitsfähigkeit beurteilen würde. Es war allgemein bekannt, dass Häftlinge in Portland eine Spitzhacke bekamen und zur Arbeit in den Steinbruch beordert wurden; dazu legte man ihnen bestimmt noch Fußfesseln an. Doch seine Ängste erwiesen sich als unbegründet: Nur ein kleiner Prozentsatz der Gefangenen arbeitete in den Steinbrüchen, und Stargäste wurden nie dorthin geschickt. Im Übrigen wurde George wegen seiner schlechten Augen nur die Fähigkeit zu leichter Arbeit bescheinigt. Der Arzt fand es auch gefährlich, ihn Treppen hinauf- oder hinuntersteigen zu lassen; daher wurde er in Trakt Nr. 1 zu ebener Erde untergebracht.
Er arbeitete in seiner Zelle. Er zupfte Kokosfasern für Matratzenfüllungen und Haare für Kissenfüllungen. Die Kokosfasern mussten zunächst auf einem Brett ausgekämmt und dann fadenfein gezupft werden; nur dann seien sie, wie man ihm erklärte, zur Herstellung der weichsten Betten geeignet. Für diese Behauptung wurde kein Beweis geliefert; George bekam das nächste Stadium des Verfahrens nie zu sehen, und seine eigene Matratze war eindeutig nicht mit fein gezupften Kokosfasern gepolstert.
Als er eine halbe Woche in Portland war, bekam er Besuch von dem Anstaltsgeistlichen. Dieser gab sich so jovial, als fände die Begegnung in der Sakristei von Great Wyrley statt und nicht in einer Hundehütte mit einem unten in die Tür gesägten Lüftungsloch.
»Schon eingewöhnt?«, fragte er fröhlich.
»Der Direktor denkt offenbar, ich hätte nichts als Flucht im Sinn.«
»Ja, ja, das sagt er zu jedem. Ganz unter uns, ich glaube, er findet geradezu Vergnügen an einer gelegentlichen Flucht. Die schwarze Fahne wird aufgezogen, die Kanone donnert, die Kaserne rückt aus. Und er gewinnt das Spiel immer – das gefällt ihm auch. Hier kommt keiner raus. Wen die Soldaten nicht erwischen, den fangen die Bürger wieder ein. Für die Ergreifung eines Entflohenen ist ein Kopfgeld von fünf Pfund ausgesetzt, es gibt also keinen Anreiz, jemanden entwischen zu lassen. Dann wandert der Ausreißer in den Bau und bekommt keinen Straferlass. Lohnt einfach nicht.«
»Außerdem hat der Direktor mir noch erklärt, ich dürfe meine Religion nicht wechseln.«
»Das stimmt.«
»Aber warum sollte ich das wollen?«
»Ah, Sie sind natürlich ein Stargast. Kennen sich noch nicht so aus. Sie müssen wissen, in Portland sitzen nur Protestanten und Katholiken ein. Etwa im Verhältnis sechs zu eins. Aber keinerlei Juden. Wenn Sie Jude wären, würde man Sie nach Parkhurst schicken.«
»Ich bin aber kein Jude«, sagte George mit einer gewissen Verbissenheit.
»Nein. Das liegt klar auf der Hand. Aber wenn Sie ein alter Knacki wären – ein Profi– und meinten, in Parkhurst ginge es ruhiger zu als in Portland, würde man Sie dieses Jahr womöglich als glühenden Anhänger der Kirche von England aus Portland entlassen, aber wenn die Polizei Sie das nächste Mal erwischt, wollten Sie vielleicht lieber Jude sein. Dann
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