Artikel 5
es: Reifen auf Asphalt. Ein einzelner Wagen war vorübergefahren. Irgendwo in unserer Nähe.
»Haben wir die Staatsgrenze überschritten?«, fragte ich und schob mich auf der Suche nach Hinweisen darüber, wie weit wir gekommen waren, an ihm vorbei. Sosehr es mir widerstrebte, wieder in das umherschweifende Scheinwerferlicht des Militärs zu treten, wusste ich doch, dass wir keine andere Wahl hatten.
Der Wald wich einem Dickicht aus graugrünem Gestrüpp, das sich wild über eine verlassene Straße ausbreitete. Dahinter wucherte es über ein offenes Feld, umgeben von Stacheldraht und Bäumen. Ein schief stehender Briefkasten kennzeichnete eine kurvenreiche Schotterpiste, ungefähr eine halbe Meile voraus. Der Wagen, wo immer er auch hergekommen sein mochte, war verschwunden.
Chase zerrte mich zurück ins Gebüsch und ging allein hinaus, um den Weg auszukundschaften. Aus meinem Versteck sah ich, wie er die Karte aus dem Rucksack nahm und die Straße entlangblickte, erst in die eine, dann in die andere Richtung. Und dann zum Himmel hinauf.
Das ist also aus meinem Leben geworden, dachte ich, während ich ihn beobachtete. Ich höre um meines Überlebens willen auf einen Kerl, der offensichtlich darauf wartet, dass ihm das Universum ein Zeichen gibt.
Beth hätte das urkomisch gefunden. Ryan hätte es als unnütz bezeichnet. Es half mir ein bisschen, darüber nachzudenken, wie meine Freunde wohl reagieren würden. Ihre Gegenwart in meinem Kopf gab mir das Gefühl, stärker zu sein, obwohl ich für einen Sekundenbruchteil der Vorstellung nachhing, sie würden an mir zweifeln. Vielleicht würden sie denken, ich hätte etwas wirklich Schlimmes getan. Etwas, wovon sie nichts wussten, etwas, das mich in solch eine Lage gebracht hatte.
Nein. Sie würden sich niemals ändern.
Aber Chase hatte sich verändert.
»Wir laufen südwestwärts. Der Highway verläuft ein paar Meilen entfernt parallel zu unserer Route«, sagte er, als er zurückkam. »Aber wir sind weiter vom Checkpoint entfernt, als ich dachte. Wir müssen einen Zahn zulegen.«
Ein Hauch von Unruhe durchfuhr mich. Meine Beine waren so steif, ich konnte sie kaum beugen, und die Blasen an meinen Füßen waren feucht von meinem Blut, trotzdem marschierten wir schneller. Wir durften den Schleuser nicht verpassen. Wir mussten weg von der MM und meine Mutter finden. Wieder hatte ich das Gefühl, unser Überleben müsse irgendwie einen Ausgleich für das Opfer schaffen, das der arme ermordete Mann in Harrisonburg gebracht hatte.
Etwas später holte Chase unseren letzten Rest an Nahrung hervor, einen halben FBR -Müsliriegel, und reichte ihn mir. Ich brach eine Ecke ab und gab ihn ihm zurück. Sosehr ich die Geste zu schätzen wusste, war mir doch bewusst, dass er ebenso hungrig sein musste.
Ich hatte gerade den Mund aufgemacht, um ihn nach seinem verletzten Arm zu fragen, als wir Stimmen durch die Bäume dringen hörten. Instinktiv zogen wir die Köpfe ein, doch wir merkten bald, dass sie nicht auf uns zukamen, uns aber den Weg verstellten.
»Aus dem Haus?«, fragte ich, in Gedanken bei dem Briefkasten.
»Vielleicht. Bleib hinter mir.«
Wir krochen weiter. Zehn Meter, und die Stimmen wurden lauter. Männer, mindestens zwei, brüllten einander an. Zwanzig Meter, und das Unterholz wurde lichter.
»Runter von meinem Land!«, brüllte der eine.
»Ich schieße, wenn es sein muss!«, gab der andere zurück. »Ich will es nicht, aber ich werde es tun!«
Schießen? Seine Worte injizierten erneute Furcht direkt in meinen Blutkreislauf.
Ich war inzwischen nahe genug, um die Personen zu erkennen. Zuerst fiel mein Blick auf einen drahtigen Mann mit dunklem Haar und grauen Schläfen, der ungefähr zehn Meter von mir entfernt auf einer Viehweide stand. Er trug Jeans und ein altes, grünes Army-Sweatshirt, und über seiner Schulter lag ein Baseballschläger. Seine Bewegungen wirkten unbeholfen; erst einen Moment später wurde mir klar, dass er nur einen Arm hatte. Rechts von ihm standen ein bärtiger Herumtreiber mit einer silbernen Faustfeuerwaffe und eine kleinere, in Lumpen gehüllte Gestalt. Als ich wieder ruhiger atmete, konnte ich sie schluchzen hören. Zwischen ihnen auf dem Boden lag eine tote Kuh.
Viehdiebe.
Chase packte meinen Arm und bedeutete mir mit einem Nicken, dass ich mich zurückziehen sollte. In seiner Hand sah ich seine eigene Waffe schimmern. Er hielt sie bereit, den Finger direkt am Entsicherungshebel, richtete sie aber zu Boden, was mir verriet, dass
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