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Artikel 5

Artikel 5

Titel: Artikel 5 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristen Simmons
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eine schmerzhafte Erinnerung an Randolphs Schlagstock. Und an meine selbstverschuldete Verwundbarkeit. Ich zuckte zurück und prallte meinerseits gegen eine der wenig standhaften Zeltstangen, und wieder erbebte das ganze Zelt.
    »Tut mir leid«, sagte ich kläglich.
    »Warte. Ich habe dir …« Auf den Knien streckte er die Hände aus und wollte meine Schultern packen, zuckte dann aber doch zurück, traute offenbar sich selbst nicht über den Weg. Ich legte eine Hand an die Lippen, umfasste mit der anderen meinen Ellbogen und schloss gepeinigt die Augen.
    »Habe ich dir wehgetan?« Seine Stimme klang angespannt.
    Ich sagte nichts, schüttelte nur rasch den Kopf, wollte aber die Augen nicht öffnen. Ich konnte es nicht ertragen, wieder den Soldaten vor mir zu sehen, nachdem ich mir gestattet hatte, mit einer anderen Person den Schlafsack zu teilen.
    »Tut mir so leid. Ich … ich weiß nicht. Es war ein Traum.« Die Worte sprudelten hervor, und ich konnte in ihnen das labile Gleichgewicht zwischen Furcht und Selbsthass erkennen.
    Seine Hände waren so nah an meinem Körper, ich konnte sogar ihre Wärme spüren. Ganz langsam strichen seine Fingerspitzen über meine feuchte Wange. Reflexartig wich ich vor der Berührung zurück, wie sanft sie auch sein mochte.
    Er schauderte. Dann, ohne ein weiteres Wort, zog er seine Stiefel an, schnappte sich seine Jacke und ging hinaus.
    Stundenlang starrte ich in die Dunkelheit, bisweilen furchtsam, während Chase draußen auf und ab ging. Ich dachte erneut daran, wegzulaufen, aber ich wusste, ich würde mich jetzt, mitten in der Nacht, nur im Wald verirren.
    Nach einer Weile wurde mir die Stille bewusst, die die Schritte abgelöst hatte. Plötzlich fürchtete ich, er konnte mich verlassen haben. Das durfte ich nicht zulassen. Ganz gleich, wie ungern ich es mir eingestand, aber ich war darauf angewiesen, dass er mir half, meine Mutter zu finden. Ich brauchte ihn.
    Ich krabbelte aus dem Schlafsack und kroch zum Ausgang. Meine halb erfrorenen Finger fummelten lange an dem Reißverschluss herum, ehe es mir gelang, die Nylonbarriere zu öffnen.
    Es war nicht mehr gar so dunkel, aber die Dämmerung war noch nicht angebrochen. Chase saß drei Meter entfernt mit dem Rücken an einen Baum gelehnt und hielt Wache. Ich hockte mich auf den Boden, froh, dass er noch da war.
    In der Nacht war es kälter geworden; eine dünne, glitzernde Eisschicht bedeckte die Kiefernnadeln am Boden. Als ich endlich ganz aus dem Zelt herausgekrochen war, stand er bereits auf den Beinen und streckte sich, steif und halb erfroren, wie ein alter Mann. Ärger brandete in mir auf. Warum war er nicht einfach zurück ins Zelt gekommen? Ich hätte ihm Platz gemacht. Lieber ertrug ich das Unbehagen zwischen uns, als in Kauf zu nehmen, dass er an Unterkühlung starb.
    Doch kaum kam er näher, wich mein Ärger tiefer Besorgnis. Rote Flecken tanzten auf seinen Wangen, und seine Lippen waren rissig und bläulich verfärbt. Zwar trug er einen Mantel, doch der schien ihn kaum vor den Elementen geschützt zu haben, und er knisterte laut bei jedem heftigen Zittern.
    Ich lief zurück zum Zelt und holte den Schlafsack. Er wehrte sich nicht, als ich ihn über seine Schultern warf, doch als er versuchte, den Stoff zu ergreifen, entglitt der seinen tauben Fingern, und da sah ich, dass die Knöchel seiner rechten Hand geschwollen und aufgeschürft waren. Eine Blutspur zog sich über seine Finger und um seine Handfläche herum.
    »Deine Hand!«, rief ich.
    Er starrte zu Boden, wich gezielt meinem tadelnden Blick aus, beinahe wie ein Kind, das beim Stehlen erwischt worden war.
    »M-m-mir g-g-geht’s gut. Du k-k-kannst weiterschlafen.« Seine Stimme hörte sich an, als wäre sogar seine Kehle mit Eis überzogen.
    Ich verschränkte die Arme vor der Brust und zog erwartungsvoll die Brauen hoch.
    Chase streckte die Finger aus und verzog das Gesicht.
    »Ich hatte eine Schlägerei«, gestand er mit einem schwachen Lächeln. »Mit einem Baum«, fügte er hinzu, als er meine Besorgnis erkannte.
    Meine Augen weiteten sich. »Schätze, du hast verloren.«
    »Du s-s-solltest mal den Baum sehen.«
    Gegen meinen Willen musste ich lachen. Zugleich fühlte ich, wie die Kälte durch meine Kleider drang. Wie hatte er es nur hier draußen ausgehalten, ohne sich zu bewegen?
    Er fing an, mit den Füßen aufzustampfen, als wieder etwas Wärme in seinen Körper kam. Das, immerhin, war beruhigend.
    »Tut m-m-mir leid, Ember.«
    Als er dieses Mal meinen

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