Artus-Chroniken 1. Der Winterkönig
Spiegel der brennenden Stadt, wo unsere Feinde in
leichenschänderischem Triumph tanzten. Zu unseren Lebzeiten wurde Ynys Trebes nicht wiederaufgebaut: Die Mauern zerfielen, das Unkraut wucherte, Meeresvögel nisteten in den Ruinen. Die fränkischen Fischer mieden die Insel, auf der so viele Menschen gestorben waren. Sie nannten sie auch nicht mehr Ynys Trebes, sondern gaben ihr einen neuen Namen in ihrer groben Sprache: Berg der Toten. Bei Nacht, behaupten ihre Seeleute, wenn die verlassene Insel schwarz aus dem obsidiandunklen Meer aufragt, kann man noch immer die Schreie der Frauen und das Wimmern der Kinder vernehmen.
Wir landeten an einem leeren Strand an der Westseite der Bucht. Wir ließen das Boot liegen und schleppten Merlins Truhe durch Stechginster und sturmzerzaustes Dorngebüsch bis auf den hohen Kamm der Landzunge. Als wir oben ankamen, brach die Nacht herein, und als ich mich umwandte, sah ich Ynys Trebes in der Dunkelheit glühen wie zerfallende Asche. Dann ging ich weiter, um meine Last heimzutragen und auf Arthurs Schultern zu legen. Ynys Trebes war tot.
Nach Britannien stachen wir von demselben Fluß aus in See, auf dem ich zu Bel und Manawydan gebetet hatte, mich sicher nach Hause zu geleiten. Auf dem Fluß fanden wir Culhwch, dessen überladenes Boot im Schlamm gestrandet war. Leanor war noch am Leben, ebenso die meisten unserer Männer. Ein einziges Schiff, das seetüchtig und für die Heimreise geeignet war, lag noch im Fluß. Sein Besitzer hatte in der Hoffnung gewartet, von verzweifelten Überlebenden einen dicken Gewinn einstreichen zu können, aber als Culhwch dem Mann sein Schwert an die Kehle setzte, erklärte er sich wohl oder übel bereit, uns gratis nach Hause zu bringen. Die anderen Menschen am Fluß waren bereits vor den Franken geflohen. Wir warteten eine schaurige Nacht lang, in der wir den Widerschein des brennenden Ynys Trebes auf dem Wasser sahen, und lichteten am anderen Morgen den Anker, um nordwärts zu segeln.
Merlin beobachtete, wie die Küste in der Ferne verschwand, und ich, der ich kaum daran zu glauben wagte, daß der Alte wirklich zu uns zurückgekommen war, beobachtete ihn. Er war ein hochgewachsener, knochiger Mann, vielleicht der größte, den ich kannte, mit langen weißen Haaren, die von seiner Tonsur aus nach hinten gestrichen waren und im Nacken von einem schwarzen Band zu einem Pferdeschwanz
zusammengefaßt wurden. Als er vorgab, Celwin zu sein, hatte er die Haare offen getragen, jetzt aber, mit dem gewohnten Pferdeschwanz, sah er wieder aus wie der alte Merlin. Seine Haut hatte die Farbe von altem, poliertem Holz, seine Augen waren grün und seine Nase war ein scharfer, knochiger Schnabel. Bart und Schnurrbart hatte er zu dünnen Schnüren geflochten, die er sich, wenn er nachdachte, gern um die Finger wickelte. Niemand wußte, wie alt er war, aber ich habe mit Sicherheit keinen Menschen getroffen, der älter gewesen wäre, außer vielleicht den Druiden Balise, und auch keinen, der so alterslos wirkte wie Merlin. Er besaß noch alle seine Zähne, jeden einzelnen, und hatte sich die Beweglichkeit eines jungen Mannes bewahrt, obwohl er es liebte, so zu tun, als wäre er alt, gebrechlich und hilflos. Er kleidete sich in Schwarz, immer in Schwarz, nie in eine andere Farbe, und normalerweise trug er auch einen langen schwarzen Stab, nur jetzt, auf der Flucht aus Armorica, mußte er auf dieses Symbol seines Amtes verzichten.
Er war ein achtunggebietender Mann, nicht nur auf Grund seiner Größe, seines Rufs und der Vornehmheit seiner Erscheinung, sondern wegen seiner Ausstrahlung. Genau wie Arthur war ihm die Fähigkeit zu eigen, einen Raum vollständig zu beherrschen und eine Halle leer wirken zu lassen, sobald er hinausging. Doch während Arthur Großzügigkeit und Begeisterung ausstrahlte, wirkte Merlin stets beunruhigend. Wen er ansah, der hatte das Gefühl, er würde einem bis in den hintersten Winkel des Herzens sehen und, was die Sache verschlimmerte, das auch noch amüsant finden. Er war boshaft, ungeduldig, impulsiv und grenzenlos weise. Er setzte alles herab, machte einen jeden schlecht und liebte nur wenige Menschen von ganzem Herzen. Dazu zählten Arthur, Nimue und, wie ich glaube, auch ich, obwohl ich dessen niemals ganz sicher war, denn er war ein Mensch, der Täuschungen und Tarnungen liebte. »Du starrst mich an, Derfel!« warf er mir vom Bug des Bootes aus vor, wo er noch immer mit dem Rücken zu mir saß.
»Ich hoffe, Euch niemals wieder
Weitere Kostenlose Bücher