Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Artus-Chroniken 1. Der Winterkönig

Artus-Chroniken 1. Der Winterkönig

Titel: Artus-Chroniken 1. Der Winterkönig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Cornwell
Vom Netzwerk:
alten Religion nichts als ein Schatten blieb und unsere Druiden, wie Tanaburs und Iorweth, nichts als schwache Echos eines uralten Glanzes waren. »Ich weiß, wer Suetonius war«, antwortete ich Merlin.
    »Es gab noch einen anderen Suetonius«, erklärte er mir belustigt. »Der war ein römischer Schriftsteller, und zwar ein recht guter. Ban besaß sein De Viris Illustribus , das hauptsächlich vom Leben der Dichter handelt. Besonderen Anstoß nahm Suetonius an Vergil. Es ist erstaunlich, was Poeten sich alles in ihr Bett holen; zumeist einander, natürlich. Schade, daß dieses Werk verbrannt ist, denn ein zweites habe ich nirgends zu sehen bekommen. Bans Schriftrolle ist vermutlich die allerletzte Kopie gewesen, und die ist jetzt zu Asche geworden. Vergil wird erleichtert sein. Wie dem auch sei, der springende Punkt ist, daß Suetonius Paulinus alles wissen wollte, was es über unsere Religion zu wissen gab, bevor er Ynys Mon überfiel. Da er sichergehen wollte, daß wir ihn nicht in eine Kröte oder einen Dichter verwandeln würden, suchte er sich einen Verräter. Das war der Druide Caleddin. Und Caleddin diktierte einem römischen Schreiber alles, was er wußte, damit dieser es in offenbar beklagenswertem Latein niederschrieb. Aber beklagenswert oder nicht, es ist das einzige Dokument unserer alten Religion; es enthält all ihre Geheimnisse, all ihre Rituale, all ihre Bedeutungen und all ihre Macht. Und das hier, mein Kind, ist es.« Er deutete auf die Schriftrolle und schaffte es, sie gleichzeitig vom Tisch zu fegen.
    Ich holte das Manuskript unter der Koje des Schiffsführers hervor. »Und ich dachte«, sagte ich dann verärgert, »Ihr wärt ein Christ, der die Flügelspanne der Engel ausrechnen wollte.«
    »Sei nicht pervers, Derfel! Jeder weiß, daß die Flügelspanne sich nach Größe und Gewicht des Engels richten muß.« Er entrollte die Handschrift wieder und betrachtete den Text.
    »Überall habe ich dieses Dokument gesucht. Sogar in Rom!
    Und all die Zeit hat dieser törichte alte Dummkopf Ban es als achtzehnten Band des Silius Italicus katalogisiert. Das beweist, daß er das Werk nie ganz gelesen hat, obwohl er ständig behauptete, es sei wundervoll. Allerdings glaube ich kaum, daß überhaupt jemand das ganze Werk gelesen hat. Wie könnte man auch!« Er schüttelte sich.
    »Kein Wunder, daß Ihr über fünf Jahre danach suchen mußtet«, bemerkte ich und dachte daran, wie viele Menschen ihn während dieser Zeit gebraucht hätten.
    »Unsinn. Von der Existenz dieser Schriftrolle habe ich erst vor einem Jahr erfahren. Bis dahin hab' ich nach anderen Dingen gesucht: dem Horn von Bran Galed, dem Dolch von
    Laufrodedd, der Wurfscheibe von Gwenddolau, dem Ring von Eluned. Die Kleinodien Britanniens, Derfel…« Er hielt inne, starrte auf die versiegelte Truhe und richtete den Blick dann wieder auf mich. »Diese Kleinodien sind die Schlüssel zur Macht, Derfel, aber ohne die Geheimnisse, die diese Handschrift birgt, sind sie nichts weiter als leblose Gegenstände.« Es lag eine tiefe Ehrerbietung in seinem Ton, und das war kein Wunder, denn die dreizehn Kleinodien waren die geheimnisvollsten und heiligsten Talismane Britanniens. Als wir eines Nachts in Benoic frierend im Dunkeln lagen und auf die Franken im Wald lauschten, hatte Galahad die Kleinodien verächtlich abgetan und bezweifelt, daß sie die langen Jahre der römischen Herrschaft überstanden haben könnten, doch Merlin hatte immer wieder betont, die alten Druiden hätten sie, als die Niederlage unmittelbar bevorstand, so tief verborgen, daß kein Römer sie jemals finden würde. Die Suche nach den dreizehn Talismanen war sein
    Lebenswerk, und er wollte den letzten, ehrfurchteinflößenden Moment miterleben, da sie eingesetzt werden würden. Und die Art, wie sie eingesetzt wurden, schien in der verschollenen Handschrift Caleddins niedergelegt zu sein.
    »Und was sagt uns nun die Schriftrolle?« erkundigte ich mich neugierig.
    »Woher soll ich das wissen? Du läßt mir ja keine Zeit zum Lesen. Warum läufst du nicht los und machst dich nützlich?
    Flickst ein Segel, oder was immer es ist, was Seeleute tun, wenn sie nicht gerade ertrinken.« Er wartete, bis ich zur Tür gelangt war. »Ach ja, noch eins«, setzte er dann geistesabwesend hinzu.
    Als ich mich umwandte, studierte er schon wieder die ersten Zeilen der schweren Schriftrolle. »Ja, Lord?«
    »Ich wollte dir danken, Derfel«, sagte er beiläufig. »Also, danke. Ich hatte immer gehofft, daß du

Weitere Kostenlose Bücher