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Artus-Chroniken 1. Der Winterkönig

Artus-Chroniken 1. Der Winterkönig

Titel: Artus-Chroniken 1. Der Winterkönig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Cornwell
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Torflügel zu. Ich erschauerte. Ich wandte mich zurück, um die Innenseite der Hauptmauer zu betrachten. Sie war zehn Fuß hoch, eine Barriere aus glatten Steinen, die so präzise eingepaßt waren wie bei jeder römischen Arbeit und so perfekt gemauert, daß auf der ganzen weißen Fläche kein einziger Halt zu sehen war. Ein schauriger Zaun aus Totenschädeln krönte die Mauer, um die toten Seelen am Betreten der Welt der Lebenden zu hindern. Ich schickte ein paar Stoßgebete zu den Göttern empor. Eins an Bel, meinen persönlichen Beschützer, ein anderes an Manawydan, den Meeresgott, der Nimue damals gerettet hatte. Dann ging ich weiter den Damm entlang, bis mir die zweite Mauer den Weg versperrte. Diese Mauer war ein grober Wall aus Steinen, die vom Meerwasser abgeschliffen waren, und auch sie war, genau wie die erste, von einem Zaun aus menschlichen Schädeln gekrönt. Ich stieg die Stufen auf der Rückseite der Mauer hinab. Im Westen, zu meiner Rechten, klatschten die schweren Wogen gegen den Kiesstreifen, während zu meiner Linken die seichte Bucht still unter der Sonne lag. Ein paar Fischerboote berühren die Bucht, aber sie hielten gebührenden Abstand von der Insel. Vor mir lag die dritte Mauer. Nirgends konnte ich Menschen entdecken, die dort warteten. Über mir schossen die Möwen dahin. Ihre Schreie hallten verloren im Wind. An beiden Seiten des Dammes zogen sich Gezeitenlinien aus dunklem Seetang entlang.
    Ich hatte Angst. Seit Arthur nach Britannien zurückgekehrt war, hatte ich in der Schlacht vor ungezählten Schildwällen und zahllosen Feinden gestanden, doch in keinem dieser Kämpfe, nicht einmal im brennenden Benoic, hatte ich eine so eiskalte Furcht empfunden wie die, die mein Herz jetzt umkrallte. Ich blieb stehen und wandte mich zurück, um zu Dumnonias sanften grünen Hügeln und dem kleinen
    Fischerdorf an der östlichen Bucht hinüberzusehen. Kehr um, dachte ich, kehr um! Nimue war jetzt schon ein ganzes Jahr hier, und ich bezweifelte, daß es viele Seelen gab, die auf der Toteninsel so lange durchhielten, es sei denn, sie wären nicht nur brutal, sondern auch mächtig. Und selbst wenn ich sie fand, würde sie wahnsinnig sein. Sie konnte die Insel nicht verlassen. Dies war ihr Reich, das Reich des Todes. Kehr um, sagte ich mir abermals, kehr um. Doch dann begann die Narbe in meiner linken Handfläche zu pochen, und ich redete mir ein, daß Nimue noch lebte.
    Ein gackerndes Heulen ließ mich zusammenzucken. Als ich mich umdrehte, sah ich eine schwarze, zerlumpte Gestalt auf der Krone der letzten Mauer tanzen. Dann kletterte die Gestalt die Rückseite des Walls hinunter und verschwand. Ich betete zu den Göttern, sie mögen mir Kraft verleihen. Nimue hatte immer gewußt, daß sie die drei Wunden erleiden mußte, und die Narbe an meiner linken Hand war ihre Garantie dafür, daß
    ich ihr helfen würde, die schweren Prüfungen zu bestehen. Ich ging weiter.
    Ich erklomm die dritte Mauer, die ebenfalls aus
    glattgeschliffenen grauen Steinen bestand, und entdeckte eine Anzahl grob gehauener Stufen, die auf der anderen Seite zur Insel hinabführten. Am Fuß dieser Treppe lagen ein paar leere Körbe: offensichtlich Behälter, in denen die Lebenden ihren toten Verwandten Brot und Pökelfleisch brachten. Die zerlumpte Gestalt war verschwunden. Ich war allein mit dem hochaufragenden Hügel über mir und einem wirren
    Dornengestrüpp zu beiden Seiten einer steinigen Straße, die zur Westflanke der Insel führte, wo ich am Fuß des großen Hügels eine Gruppe zerfallener Gebäude ausmachen konnte. Die Insel war riesig. Zu Fuß würde man zwei Stunden brauchen, um von der dritten Mauer dorthin zu gelangen, wo das Meer an die Südspitze der Insel schlug, und ebenso lange, um die Insel über den Grat des gigantischen Felsens hinweg von Westen nach Osten zu durchwandern.
    Ich folgte der Straße. Der Wind raschelte im Seegras hinter dem Dornengestrüpp. Ein Vogel schrie mich an und stieg dann mit ausgebreiteten weißen Schwingen in den sonnigen Himmel empor. Die Straße machte einen Bogen, so daß ich jetzt direkt auf die alte Ortschaft zuwanderte. Es war ein römisches Dorf, aber nicht etwa so wie Glevum oder Durnovaria, sondern eine schäbige Ansammlung niedriger Steinhütten, in denen früher die Steinbruchsklaven gehaust hatten. Die Dächer der Hütten waren notdürftig mit Treibholz und trockenem Seetang gedeckt und boten selbst Toten nur unzulänglich Schutz. Die Angst vor dem, was ich in dem Dorf finden

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