Artus-Chroniken 1. Der Winterkönig
regen. Dann sah ich Bischof Bedwin an. »Falls ich nicht wiederkomme, wird Galahad meine Männer nach Norden führen«, sagte ich.
»Derfel!« Er packte meinen Arm. »Niemand kommt von den Toten zurück. Niemand!«
»Spielt das eine Rolle?« fragte ich ihn. Denn wenn ganz Dumnonia verloren war - was war dann überhaupt noch wichtig? Aber Nimue war nicht tot, das wußte ich, weil die Narbe in meiner Hand pochte. Merlin mochte sie gleichgültig sein, mir aber nicht - mir war Nimue weitaus wichtiger als Gorfyddyd oder Aelle oder der jämmerliche Lancelot, der zu den Auserwählten des Mithras gehören wollte. Ich liebte Nimue, obwohl sie diese Liebe niemals erwidern würde; außerdem war ich ihr narbenverschworener Beschützer. Und das bedeutete, daß ich hingehen mußte, wo Merlin nicht hingehen wollte: auf die Toteninsel.
Die Insel lag nur zehn Meilen südlich von Durnovaria, nicht mehr als ein gemächlicher Vormittagsmarsch, aber nach allem, was ich über sie wußte, hätte sie ebensogut hinter dem Mond liegen können.
Daß es sich nicht um eine Insel handelte, sondern um eine Halbinsel aus hartem, hellem Gestein, die am Ende einer langen, schmalen Landzunge lag, war mir bekannt. Die Römer hatten die Insel als Steinbruch benutzt, da wir aber lieber ihre Gebäude als Steinbruch benutzten, statt die Steine aus dem Fels der Erde zu schlagen, hatten wir die Steinbrüche aufgegeben und die Toteninsel menschenleer zurückgelassen. Sie wurde zum finsteren Gefängnis. Quer über den Damm der Landzunge wurden drei hohe Mauern gebaut, Wachen wurden aufgestellt und dann all jene auf die Insel geschickt, die wir bestrafen wollten. Mit der Zeit wurden aber auch andere hinübergeschickt: Männer und Frauen, die den Verstand verloren hatten und nicht in Frieden unter uns zu leben vermochten. Das waren die gewalttätigen Irren, die in einem Reich der Wahnsinnigen landeten, wo es keinen einzigen normalen Menschen gab und wo ihre von Dämonen verfolgten Seelen die Lebenden nicht gefährden konnten. Die Druiden behaupteten, die Insel sei das Reich Crom Dubhs, des dunklen, verkrüppelten Gottes, die Christen sagten, sie sei der Brückenkopf Satans auf Erden, beide waren sich jedoch einig darin, daß Männer und Frauen, die hinter die drei Mauern der Landzunge geschickt wurden, verlorene Seelen waren. Sie waren tot, obwohl ihre Körper noch lebten, und wenn ihre Körper starben, blieben die Dämonen und bösen Geister auf der Insel gefangen und konnten niemals zurückkehren und die Lebenden verfolgen. Familien brachten ihre Wahnsinnigen auf die Insel und überließen sie an der dritten Mauer den unbekannten Schrecken, die sie am Ende des Dammes erwarteten. Nachdem die Familie aufs Fesrland zurückgekehrt war, wurde ein Totenmahl für den verlorenen Verwandten ausgerichtet. Nicht alle Wahnsinnigen wurden auf die Insel geschickt. Einige von ihnen waren von den Göttern berührt worden und daher heilig, und manche Familien hielten ihre Irren hinter Schloß und Riegel wie Merlin den armen Pellinore. Doch wenn die Götter, die die Wahnsinnigen berührt hatten, bösartig waren, mußten die gefangenen Seelen auf die Insel geschickt werden.
Das Meer schäumte weiß rings um die Insel. Auf ihrer seewärts gewandten Seite gab es auch bei ruhigem Wetter einen riesigen wirbelnden Mahlstrom über der Stelle, an der Cruachans Höhle in die Anderwelt führte. Vom Wasser über der Höhle spritzte wilde Gischt empor, und die Wellen tosten ohne Ende, um diesen gräßlichen, unsichtbaren Schlund zu kennzeichnen. Kein Fischer würde sich diesem Mahlstrom nähern, denn jedes Boot, das in diesen kreiselnden Wirbel hinabgezogen würde, wäre unausweichlich verloren. Es würde sinken, und seine Besatzung würde zu Schatten in der Anderwelt werden.
Die Sonne schien an dem Tag, als ich zur Insel ging. Ich trug Hywelbane, darüber hinaus jedoch kein Kriegsgerät, denn kein von Menschen gemachter Schild oder Brustpanzer konnte mich vor den Geistern und Schlangen der Insel schützen. Als Proviant hatte ich einen Schlauch Wasser und einen Beutel voll Haferkuchen mitgenommen, während mir Ceinwyns Brosche und ein Zweig Knoblauch, den ich mir an den grünen Umhang gesteckt hatte, als Talismane gegen die Dämonen der Insel dienten.
Ich kam an der Halle vorbei, in der die Totenfeiern abgehalten wurden. Dahinter war die Straße mit Totenschädeln von Menschen und Tieren gesäumt, um die Unbesonnenen zu warnen, daß sie sich dem Reich der toten Seelen näherten. Zu
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